High Heels und Gummistiefel
Atmosphäre im Auto deutlich entspannter, zumindest bis Jules den Arm ausstreckte und eine CD einlegte. Es war ohrenbetäubende Elektro-Gitarrenmusik von genau jener Art, die Isabelle nicht ausstehen konnte. »Was ist das?«, erkundigte sich Isabelle nach einer Weile.
Jules räusperte sich, dann sagte sie: »Das ist eine Band namens The Coven.«
Die Musik war absolut grauenvoll: ein gewaltiges, gnadenloses metallisches Geschepper, vermengt mit kreischendem Gesang. Ein paar Minuten lang saß Isabelle höflich schweigend da. Schließlich konnte sie nicht mehr. »Entschuldige, aber das klingt genau wie dieser schreckliche Film... L ’E xorciste ?«
»Der Exorzist«, sagte Jules. Dann grinste sie breit, etwas, was Isabelle noch nie erlebt hatte. »Vielen Dank. Die anderen werden hin und weg sein.«
»Welche anderen?«
»Die anderen aus der Band.« Wieder räusperte Jules sich. »Das ist meine Band. Die Bassgitarre, das bin ich.«
»Oh.« Isabelle unternahm eine beträchtliche Anstrengung, genauer hinzuhören. »Ah, ja.« Das musste Jules sein, die dieses sich ständig wiederholende, dumpfe Wummern hervorbrachte. »Wie heißt denn das Lied?«
»›Eviscerate Me.‹« Jules verstummte kurz, dann lächelte sie Isabelle an. »Es ist ein Liebeslied.«
4
Daisy
»HI DAZE. WIE WAR DIE PARTY.«
»OK«, tippte Daisy nach einigem Überlegen.
»AHNE TRAGISCHEN KATER. HAST DU DICH ZUGESOFFEN UND EINEN STRIP HINGELEGT, DU BÖSES MÄDCHEN?«
Daisy lächelte. Es war wirklich so, als wäre Chrissie hier im Zimmer.
»WAS UNTERSTEHST DU DICH? GRÄSSLICHER KERL«, antwortete sie liebevoll.
Eine sehr lange SMS wäre nötig gewesen, um Chrissie klarzumachen, dass das gestern Abend wirklich nicht so eine Party gewesen war. Absolut nicht! Es hatte sehr viel Champagner gegeben, doch unerklärlicher- und wie Daisy fand unnatürlicherweise hatte sich anscheinend niemand betrunken. Lediglich e in Mädchen war ziemlich beschickert gewesen und in einem der Schlafzimmer umgekippt. Die Leute hatten im Flüsterton darüber geredet wie über etwas völlig Neues und ungeheuer Abgefahrenes. Man hatte Daisy zusammen mit Agathe und ein paar anderen Gästen zu dem Zimmer geführt, um die hingestreckte Gestalt auf dem Bett anzustarren. Sie hatten alle zusammen dagestanden, gedämpfte Laute des Erstaunens von sich gegeben und hinter vorgehaltener Hand leise gelacht. Daisy war drauf und dran gewesen, damit herauszuplatzen, dass sie und Jules einmal im Nachthemd im Garten eingeschlafen waren, platt auf dem Bauch, nachdem sie eine
ganze Ladung Hasch-Brownies verdrückt hatten, doch eine kleine Stimme in ihrem Kopf hatte ihr zugeflüstert, sie solle das lieber bleiben lassen.
»ABER DU HAST DEINEN SPASS GEHABT?«
Nun ja, ja, wenigstens hin und wieder. Agathe hatte sie in Isabelles Wohnung abgeholt. Es war aufregend gewesen zuzusehen, wie sich ihre neue Freundin mit unglaublichem Selbstvertrauen durch den furchterregenden Verkehr wand, der um den Arc de Triomphe herumstrudelte. Vor einem großen, glamourösen Café hatten sie Halt gemacht, um drei junge Männer abzuholen, die einander zuerst so ähnlich sahen – dunkelhaarig, lässig und schlaksig -, dass Daisy sie für Brüder hielt. Alle drei standen auf, als Daisy mit ihnen bekannt gemacht wurde, und küssten sie mit einer so geübten Ungezwungenheit und Leichtigkeit auf beide Wangen, dass sie – Luftkuss-erfahrene Fashionista, die sie war! – sich wie ein unbeholfenes Landei vorkam. Dabei stellten sie sich in fast identischem schleppenden Tonfall vor. » Bonsoir. Octave.« »Bonsoir . Bertrand.« »Bonsoir . Stanislas.«
Später, als sie zu der Party kamen, war Daisy froh, zu einer Gruppe zu gehören. Sonst hätte es verdammt viel Überwindung gekostet, da hineinzumarschieren. Octave, Bertrand und Stanislas verschwanden übergangslos in einem anderen Zimmer voller Menschen, und sie folgte Agathe in ein Schlafzimmer, wo sie ihre Taschen ablegten und ihre Gesichter noch einmal einer Überprüfung unterzogen. Agathe, die die Haare offen trug, sah bildhübsch aus; sie trug ein schwarzes Kleid mit winzigen weißen Punkten. Daisy erkannte den Schnitt wieder, von dem bekannten Poster von Marilyn Monroe auf dem Gitter über dem U-Bahn-Schacht, doch an Agathes schmaler, zarter Figur wirkte das Kleid eher raffiniert als unverschämt sexy.
Ihre Freundin lächelte Daisy im Spiegel zu. »Bon , on y va ?«
»Äh, d’accord.«
Die gedämpft beleuchtete Wohnung schien riesig zu sein, und
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