Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
ein Arm um ihn und verhinderte, dass er stürzte. Die britischen Truppen zogen sich nach Québec zurück, wobei es den Trommeln kaum gelang, eine gewisse Ordnung durchzusetzen. Die Offiziere befahlen ihren Männern, die Reihen geschlossen zu halten; doch die Aussicht, bald hinter den Mauern in Sicherheit zu sein, stachelte die Soldaten zum Ungehorsam an. So ähnelte die englische Armee mehr einer aufgeregten Menschenmenge als einem disziplinierten Bataillon.
Alexander taumelte vor sich hin und glitt immer wieder im Schnee und im Matsch aus. Seine Lungen schienen in Brand zu stehen und ließen kaum genug Luft zum Atmen ein. Er stieß gegen eine halb im Boden vergrabene Kanonenkugel und stürzte. Eine Leiche starrte ihn an; und mit einem Mal war ihm, als müsse sein Kopf von den Schreien der Sterbenden platzen. Ruckartig wandte er sich ab.
Coll zog an seinem Arm, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Eine Kugel schlug zwischen seinen Füßen ein und ließ den Schlamm aufspritzen. Sie wollten schon weitergehen, als Alexander einen ihrer Landsleute erblickte, der mit dem Gesicht zum Boden in einem von Blut rot gefärbten Schneehaufen lag. Das rote Haar, das unter der verrutschten Perücke hervorschaute, kam ihm bekannt vor. Er stieß seinen Bruder weg, stolperte zu dem Mann und drehte ihn auf den Rücken.
»Archie Roy! Gott im Himmel, Archie Roy!«
Von Panik erfüllt beugte er sich über seinen Onkel und versuchte, seinen Herzschlag zu erspüren.
»Er lebt, Coll! Hilf mir!«
Leutnant Campbell stöhnte und stieß einen Schrei aus, als ihn die beiden Männer unter den Achseln packten und hochzogen. Entsetzt riss er die Augen auf und entspannte sich dann, als er sie erkannte.
»Ich glaube, er ist in den Unterleib getroffen worden. Komm, Archie Roy, wir bringen dich jetzt nach Hause.«
Archibald brachte ein schwaches Lächeln zustande. Es war lange her, dass jemand ihn so genannt hatte… nicht mehr, seit er Fortingall verlassen hatte. Coll hob das Gewehr des Leutnants auf. Er wollte es sich schon über die Schulter hängen, als Alexander ihm die Waffe aus den Händen riss und sich vergewisserte, dass sie geladen war. Dann legte er auf einen französischen Offizier an, der gerade dabei war, einen Highlander zu skalpieren. In dem Moment, als er abdrücken wollte, entdeckte er einen zweiten Offizier direkt hinter dem ersten. Der Mann richtete eine ebenfalls schussbereite Waffe auf ihn. Einen kurzen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Dann detonierte ein paar Schritte von den Franzosen entfernt eine Granate, und sie verschwanden in einer Wolke aus Rauch und emporgeschleuderter Erde. Dies war das erste und letzte Mal, dass Alexander den Hauptmann und ehemaligen stellvertretenden Stadtkommandanten von Québec, Nicolas Renaud d’Avène des Méloizes, und seinen Bruder, den Leutnant Louis-François, erblickte.
Die Sonne, die von den letzten Schneeresten reflektiert wurde, blendete sie. Das grelle Licht bereitete Alexander, der bei jedem Schritt das Gefühl hatte, sein verletzter Schädel müsse bersten, großes Unbehagen. Der junge Mann sagte sich, dass er es niemals schaffen würde, wenn nicht ein starker Arm ihn stützte. Seine Wunde blutete stark, und ein rötlicher Schleier ließ seinen Blick verschwimmen. Er hörte den Wind, der durch das nackte Astwerk der Bäume pfiff. Ein paar Raben krächzten. Nachdem der Kampf vorüber und die Erregung, die ihn vorangetrieben hatte, verflogen war, hatte er nun den Eindruck, als verließen ihn seine Kräfte. Er konnte die Füße kaum mehr heben und schaffte es nicht länger, Archies Gewicht zu tragen. Er geriet ins Straucheln.
»Noch ein paar Schritte, Alas … Komm, bald sind wir in Sicherheit. Denk an Isabelle!«
Isabelle … Was sie wohl in diesem Moment tat? Sie musste wissen, dass es heute Morgen zum Kampf gekommen war … Aber welchen Tag hatten sie eigentlich? Er erinnerte sich nicht, konnte kaum noch denken.
Als das Stadttor sich hinter ihnen schloss, empfing ein Taubenschwarm sie mit wildem Flügelschlagen. Alexander war unfähig, auch nur einen einzigen Schritt weiterzugehen. Er brach zusammen und riss Leutnant Campbell mit sich.
Isabelle stand am Fenster, den Blick ins Leere gerichtet und die Hände an die kalten Scheiben gelegt. Die Sonne ging unter und nahm in einer verschwenderischen Pracht von Farbschichten den letzten Rest des Tages mit sich. Das Donnern der Kanonen war schon lange verstummt. Die Schlacht hatte drei Stunden lang getobt; drei Stunden,
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