Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
während seine Kameraden auf einem Baumstamm in der Sonne saßen und würfelten. Die Moral der Truppen befand sich am Boden. Die Belagerer waren zu Belagerten geworden. Seit inzwischen zehn Tagen zog Lévis’ Armee nun Gräben und beschoss mit den Kanonen, welche die Engländer zurückgelassen hatten, von den Höhen aus die Stadtmauern. Ihre Lage war noch nicht verzweifelt, aber dennoch bedenklich. Nur wenn Verstärkung eintraf, konnten sie einen echten Sieg erringen und die Stadt vollständig in Besitz nehmen.
Die Schlacht am Rand des Walds von Sillery und auf dem Weg nach Sainte-Foy hatte katastrophale Verluste gefordert: Zweihundertsechzig Männer waren gefallen und mehr als achthundert verwundet worden. Allgemein schätzte man, dass die Verluste auf der gegnerischen Seite ein wenig höher gewesen waren. Für die Soldaten war es nicht ermutigend, dass sie ein Viertel ihrer Truppenstärke eingebüßt hatten. Das Warten fiel ihnen schwer.
Da der Hauptmann seines Regiments in der Schlacht gefallen war, hatte man Archibald Campbell von Glenlyon ein Hauptmannspatent angeboten. Jetzt kommandierte er Alexanders Kompanie, und der junge Mann war stolz auf ihn. Obwohl seine Verwundung Archie noch starke Schmerzen bereitete, hatte er darauf bestanden, seine Männer zu inspizieren und sie zu dem Mut, den sie auf dem Schlachtfeld bewiesen hatten, zu beglückwünschen. Er hatte sich auch bei Alexander und Coll bedankt und ihnen zwei Flaschen von dem besten schottischen Whisky, den er besaß, geschickt. Die Brüder hatten sie mit ihren Zimmergenossen geteilt, und der Abend war wie üblich in der Taverne zu Ende gegangen.
Alexander hatte allerdings gefürchtet, sich der Avancen der wenigen Frauen, die noch in der Stadt geblieben waren, nicht erwehren zu können, und hatte daher beim Trinken nicht übertrieben. Er sehnte sich nach Isabelle und träumte von dem Tag, an dem er sie wiedersehen würde. Mehrmals hatte er nur um Colls willen beschlossen, doch bei der Truppe zu bleiben.
Er überprüfte den Mechanismus seiner Waffe ein letztes Mal und lehnte sie zufrieden an die Wand. Dann griff er in seinen Sporran und zog eine Scheibe von demselben Horn hervor, aus dem er Isabelles Medaillon geschnitzt hatte. Er hatte sie so weit bearbeitet, dass sie die Form eines Rings hatte. Die Größe hatte er festgelegt, indem er sich – etwas beschämt – Émilies Hand »ausgeliehen« hatte, die der von Isabelle ähnelte. Er wusste bereits, welches Motiv er hineingravieren würde; mit einem Stück Kohle hatte er einen Entwurf auf Papier gezeichnet.
»Was machst du da?«, fragte Coll über seine Schulter hinweg. »Hat wieder jemand etwas bei dir bestellt?«
»Nein, bloß eine kleine Spielerei«, brummte er gereizt.
Er hatte keine Lust, Coll zu erklären, was er da vorhatte, denn sein Bruder hätte gewiss etwas einzuwenden. In der Tat betrachtete er seine Arbeit mit faszinierter Miene und seufzte dann.
»Hmmm…«, meinte er einfach und setzte sich ihm gegenüber.
»Hast du heute Morgen neue Wörter gelernt?«, fragte Alexander, dem daran gelegen war, das Thema zu wechseln.
Coll lachte und lieferte umgehend eine kleine Demonstration seiner Fortschritte im Französischen. Er hatte sich mit einer jungen Witwe angefreundet, und Alexander hatte den Verdacht, dass sein Bruder nicht nur von ihren Kenntnissen der Landessprache profitierte. In den letzten Wochen war er weit besser gelaunt als früher.
»Nicht übel … mon frère . Ich freue mich für dich. Deine Lehrerin ist ebenso begabt wie charmant, während ich die Sprache der Dichter von dem alten Hector Menzies lernen musste.«
Fernes Stimmengewirr unterbrach sie. Die Würfel hörten zu klappern auf. Alle verstummten, um festzustellen, woher dieses Volksgemurmel kam. Einen entsetzten Moment lang glaubte Alexander schon, die Franzosen seien in die Stadt eingedrungen. Doch rasch zerstreute ein Freudenschrei seine düsteren Mutmaßungen. Weitere Stimmen fielen ein. Die Soldaten sprangen auf wie ein Mann und stürzten auf die Straße, wo noch mehr Männer herbeiliefen, die oft nur halb angekleidet waren und offensichtlich bei irgendeinem Tun unterbrochen worden waren.
»Ein Schiff am Horizont! Da kommt ein Schiff!«, brüllte jemand.
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Unter Jubel und Freudenschreien rannte die ganze Garnison zu den Stadtmauern.
»Englisch oder französisch?«
»Das sieht man noch nicht.«
»Es ist eine Fregatte! Sie kommt näher!«
»Aber unter
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