Hilfe, mein Chef ist ein Affe
der Mitarbeiter aufmerksam und fangen an, über Lösungen nachzudenken. Die verdeckten oder offenen Signale, die den knallharten Zahlen vorausgehen, werden übersehen: vermehrter Klatsch und Tratsch, kleine Fluchten (Kaffeeholen), Dienst nach Vorschrift, gedrückte Stimmung und gehäufte Krankmeldungen. Die Belegschaft selbst registriert eine gestörte Atmosphäre und Verhaltensänderungen dagegen meist sehr genau.
Eine weitere Lektion in Sachen Beobachten erteilte mir Jane Goodall, der ich 2009 zum ersten Mal persönlich begegnete. Die meisten Verhaltensbiologen arbeiten mit Protokollen, Beobachtungsbögen und anderen Techniken, die ich auch in meinen Schulungen den Führungskräften an die Hand gebe. Janes Lektion war leicht: »Lege Protokolle und sonstige Hilfsmittel immer wieder beiseite und schau nur zu!« Ihre bedeutendsten Entdeckungen (zum Beispiel dass Schimpansen sich von Fleisch ernähren und Werkzeuge benutzen) hat Jane Goodall gemacht, indem sie unvoreingenommen hingesehen hat. Sie ist offen für das, was die Augen ihr übermitteln.
• Benutze deine Augen!
Ein guter Chef muss also vor allem lernen zu schauen, ohne irgendetwas zu erwarten. Fern von Urteil oder Protokoll sollte er für jede neue Wahrnehmung zugänglich sein.
Warum muss ein guter Chef die Ursache kennen?
Ein Chef sollte versuchen, Aktion und Reaktion in Verbindung zu bringen. Er mag zwar durchaus richtige Beobachtungen anstellen, aber vielfach erweist er sich dann leider als wahrer Meister darin, falsche Erklärungen oder Ursachen zu suchen. Nur selten wird ein hoher Krankenstand auf Führungsversagen zurückgeführt. Verschlechtert sich die Stimmung in der Abteilung, wird man den Grund dafür nicht ohne Weiteres in zu rasch eingeführten Neuerungen sehen.
• Es ist nicht immer alles so, wie es scheint. Ein Verhalten kann verschiedene Ursachen haben. Überlegen Sie genau!
Während ein Prozess noch im Gange ist, fällt es natürlich schwer, die eigentliche Ursache zu benennen. Im Nachhinein allerdings, wenn die potenziellen Schuldigen das Feld geräumt haben, sind zutreffende Analysen sehr wohl möglich.
Ein Verhaltensforscher kann das Verhalten eines Individuums in einer Gruppe nur verstehen und erklären, wenn er auch das Verhalten der anderen Gruppenmitglieder kennt. Er beobachtet also stets auch die Wirkung eines Verhaltens auf andere und berücksichtigt dabei auch zurückliegende Vorgänge. Manchmal blickt er sogar über das betreffende Individuum und über die ganze Gruppe hinaus. Denn er weiß sehr gut, dass Veränderungen in der Umgebung einer Gruppe deren Verhalten beeinflussen können.
• Lassen Sie Wissen und Erfahrung spielen, wenn Sie eine Beobachtung interpretieren!
Ein Beispiel aus der Affenwelt: Ein neues Gehege bedeutet für die Affen Stress. Erhöhte Aggression, verminderte Futteraufnahme oder Zusammenrottungen können die Folge sein. Glücklicherweise weiß der Tierpfleger aus Erfahrung, wann sich das Verhalten seiner Tiere verändert. Minimale Abweichungen (etwa in der Reihenfolge, in der die Tiere ihre Schlafkäfige aufsuchen) weisen ihn darauf hin, dass etwas im Busch ist. Erfahrung und Wissen über eine bestimmte Affenart liefern ihm Ursache oder Auslöser eines Verhaltens, zum Beispiel eine Veränderung der Rangordnung. Wichtig ist, dass der Pfleger seine Tiere kennt, die Gruppe als Ganzes ebenso wie die einzelnen Individuen, vor allem auch, was Charakter und Verhalten anbelangt. Auch ein guter Chef sollte also seine »Tiere« gut kennen und immer auf sein Wissen und seine Erfahrung vertrauen.
Noch etwas sollte sich eine Führungskraft bewusst machen, wenn sie das Verhalten von Mitarbeitern erklären möchte: die eigene Rolle. Auch der Chef selbst gehört der Gruppe an, die er beobachtet. Dadurch beeinflusst er permanent das Verhalten der anderen Gruppenmitglieder. Zugleich ist er der formale Anführer der Gruppe, eine Rolle, die sein Verhalten und das der anderen Gruppenmitglieder zusätzlich prägt. Die Ursache der Verhaltensänderung eines Mitarbeiters kann also durchaus im Verhalten des Chefs selbst liegen. Nimmt der Stress in der Gruppe zu, wird er, als quasi externer Beobachter, nur schwer wahrnehmen, dass der Grund dafür sein eigenes Fehlverhalten ist. Deswegen braucht jemand, der das Verhalten der eigenen Gruppe verstehen will, ein hohes Maß an Abstraktionsvermögen . Er muss sich gewissermaßen außerhalb der Gruppe stellen und sich in der dritten Person sehen. Zwei gleichrangige
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