Himbeersommer (German Edition)
wirklich.
„Beim Urologen, Sperma testen, das hab ich dir vorgestern gemailt!“
„Was?! Wieso hast du es nicht auf Facebook gepostet oder getwittert?“, erwidert er genervt. „An deinem Geburtstag? Ich muss in die Kanzlei und du auf deine Baustelle … und wir müssen doch noch so viel für die Party vorbereiten!“
„Jacky macht einen Couscous-Salat, den Rucola-Mango-Chutney-Dings-Salat mache ich später fertig. Der Rest wird geliefert, wo ist das Problem?“
Ich sehe ihn müde an. „Seit wann liest du meine Mails nicht mehr?“
„Natürlich lese ich deine Mails noch“, Tobias nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und küsst meine Stirn.
In die Augen schauen kann er mir nicht. Oder bilde ich mir das nur ein? Er dreht sich um und zieht sich seine alten Socken an. Die Socken immer zuerst.
„Bei welchem Urologen?“, will er angespannt wissen.
„Dr. Schabe, dein anderer hatte so schnell keinen Termin, wieso?!“ frage ich, während ich meine etwas eng gewordenen Jeans malträtiere. Ich passe nicht mehr in Hüftjeans Größe 38. Punkt. Obwohl ich weder schwanger bin noch vier Kinder bekommen habe. Aber ich finde, mit 39 ist man über 38 einfach hinausgewachsen.
Tobias hält sein Hemd von gestern in der Hand und sieht es stoisch an.
„Ich habe noch einen Mandanten reingekriegt, das könnte länger dauern. Und jetzt, wo wir hier am Stadtrand wohnen, … bis ich mit der S-Bahn erstmal im Büro bin …“
„Ich hol dich mit dem Audi in Mitte ab“, stoppe ich seine fadenscheinigen Ausreden. „15 Uhr.“ Ich streife noch mein Ringel-T-Shirt über und muss mich beeilen. Mein Bauleiter wartet schon.
Der Bauleiter ist ein echter Kerl. Bierbauch und Glatze.
„Niedlicher Hintern, und sogar was in der Birne“, hat er nach unserer ersten Baubesprechung gesagt und mich, eine Frau, eine ArchitektIN, sofort als Projektleiterin akzeptiert. Und seitdem mag ich Manni. Ein Kompliment über meinen Hintern hat Tobias noch nie über die Lippen gekriegt. Dabei sollte das jeder Mann, der behauptet, eine Frau auch nur ansatzweise zu verstehen.
Stolz wie eine Hacienda-Besitzerin betrachte ich meine Himbeersiedlung. Eine heruntergekommene Reihenhaussiedlung aus den 60ern, die nach meinen Plänen zu einer Kinder-Oase par excellence mutieren soll. Bis jetzt sieht es eher aus wie auf einem Schrottplatz. Überall stehen Baugeräte herum, die Häuser sind eingerüstet, die Gärten noch ziemlich wild, aber herrlich verwuchert. Und wenn ich meine Augen schließe, sehe ich unsere zwei Kinder inmitten dieser Blütenpracht, die kreischend in ein gelbes Planschbecken hopsen.
Ich halte mir die Ohren zu. Denn eine Kreissäge durchschneidet das Lachen der Kinder, die auf dem Bauschutt Spiderman spielen.
Ein junger Maurer, mit Dreitagebart und Nasenring, pfeift mich aus meinem klebrigen Tagtraumnetz.
„Die Trockenbauwand in Haus 10 kommt mir irgendwie komisch vor.“
„Komisch? Ich wusste gar nicht, dass Trockenbauwände witzig sein können“, kontere ich bemüht schlagfertig, ahnend, dass sich da ein Fehler eingeschlichen haben könnte.
Der nach frischem Schweiß und Döner riechende, Anfang Zwanzigjährige, legt mir grinsend meinen Plan vor und starrt mir in den Ausschnitt. Und tatsächlich.
„Äh … die stimmt natürlich nicht“, versuche ich meine Stimme gelassen klingen zu lassen. Und zeichne in die Wand noch eine Tür hinein.
„Wäre etwas umständlich, immer durchs Küchenfenster klettern zu müssen“, lächle ich ihn an und bin froh, heute ein etwas tieferes Dekolletee anzuhaben.
Er lächelt zurück, und wir sind uns einig. Kein Wort zu niemandem. Manchmal ist es gut, dass Männer Primaten sind.
„Danke“, rufe ich ihm noch nach.
Bauarbeiter sind meine allerbesten Freunde. Als Bauleiterin habe ich mich jahrelang mit polnischen Anzüglichkeiten herumgeschlagen, bis ich gemerkt habe, dass es Komplimente waren.
Nachdem ich mich unbemerkt in den Baucontainer geschlichen habe, um diese Küchentür heimlich im Plan des Bauleiters einzuzeichnen, ist es schon fast halb drei. Mist.
Unser Arzttermin.
***
Ich renne über die kleine Straße vor unserer Siedlung und sehe dem Tod ins Gesicht. Ein junger Vespa-Fahrer kommt hinter einem wilden Himbeerbusch angebraust, tritt auf die Bremse – Reifen quietschen. Gemüse kullert aus einer Kiste, die auf dem Gepäckträger aufgeschnallt ist. Paprika, Gurken, Zucchini.
„Verdammt! Kannst du nicht aufpassen?!“, herrsche ich ihn an, fühle mich so temperamentvoll wie eine schwarz
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