Himmel, hilf!
endlich sah er auf, das Gesicht blass und angespannt, und sagte: “Ja. Wäre das möglich?”
4. KAPITEL
M atthias Jamison genoss es, schon vor dem Frühstück in seinem Gewächshaus zu hantieren. Morgens – das war die Zeit, zu der er Mary am stärksten vermisste. Nun war sie schon fünfzehn Jahre tot, und noch immer verging kein Tag, in dem er nicht an die Frau dachte, die er dreißig Jahre lang geliebt hatte. Er kannte etliche Männer, die schnell wieder geheiratet hatten, nachdem sie ihre Partnerinnen verloren hatten. Bei ihm war das anders. Mary war die Einzige für ihn gewesen, und niemand konnte jemals die Lücke füllen, die ihr Tod gerissen hatte.
Ein wunderbarer Sonnenaufgang vergoldete die Berggipfel der Cascade Mountains. Zunächst erschien nur ein heller Streifen am Horizont, doch bald badete der Weinberg in warmen Sonnenstrahlen. Die Morgensonne bedeutete Hoffnung, denn sie versprach einen neuen Tag voller neuer Chancen. Es war Mary gewesen, die ihn das gelehrt hatte. Leider hatte er ihre Begeisterung für den Sonnenaufgang erst zu schätzen gelernt, als es bereits zu spät war. Heute wünschte er, er hätte häufiger mit ihr zugesehen, wie die ersten Strahlen die Erde wärmten.
Ihr einziger Enkel litt inzwischen an derselben seltenen Leukämie-Art, die auch Mary so früh aus dem Leben gerissen hatte. Alles sah danach aus, als würde Tanner ebenfalls sterben. Matthias biss die Zähne zusammen, bis seine Kiefernmuskeln schmerzten, und schloss die Augen. Wie konnte ein liebender Gott nur zulassen, dass ein unschuldiges Kind so litt?
Was die Situation noch weiter verschlimmerte, war die Tatsache, dass seine Tochter die schreckliche Last alleine tragen musste. Ihr Exmann rührte keinen Finger. Er kümmerte sich weder um sie noch um den Jungen, sodass Matthias sich gleich doppelt in der Verantwortung fühlte. Aber abgesehen von Anrufen und gelegentlichen Besuchen konnte er wenig tun, um zu helfen. Er wohnte einfach zu weit entfernt.
Das Telefon klingelte. Matthias sprang auf und eilte ins Haus, in der Hoffnung, endlich einmal gute Neuigkeiten zu hören. “Hallo”, rief er in seiner üblichen ruppigen Art in den Hörer.
“Hier ist Harry.”
Seinem langjährigen Freund Harry gehörte ein Weingut in Napa Valley. “Meinst du nicht, dass es noch ein bisschen früh ist, um anzurufen?” Es gelang Matthias nicht, den enttäuschten Unterton in seiner Stimme zu unterdrücken. Eigentlich hatte er gehofft, seine Tochter Gloria am anderen Ende der Leitung zu hören. Er seufzte schwer. Es brachte ihn beinahe um, dass er sich wieder genauso machtlos sah wie während der Krankheit seiner Frau.
“Ich habe Neuigkeiten, die dich etwas aufmuntern dürften”, sagte Harry.
“Dann schieß los. Etwas Aufmunterndes kann ich gut gebrauchen.”
“Es geht um Greg Bennett.”
Beim Klang dieses Namens versteifte sich Matthias. Er hasste Greg Bennett mit einer Leidenschaft, die im Laufe der Jahre nur noch gewachsen war. Bennett stand in seiner Schuld. Wem verdankte Greg denn den Erfolg seines Weinguts, wenn nicht ihm? Wenn er nicht gewesen wäre, dann hätte Greg Bennett den Betrieb schon zehnmal verloren – vor allem in den ersten Jahren.
Sicher, die Begabung für das Weinmachen und alles, was damit zusammenhing, hatte der jüngere der beiden Bennett-Jungen mitgebracht. Aber Matthias war derjenige gewesen, der ihn alles gelehrt hatte, was man über Reben, Kellerei und die Verwaltung eines Weinguts wissen musste. Gregs Vater John Bennett hatte nur für den Betrieb gelebt. An diesem Übereifer war schließlich sogar seine Ehe zerbrochen. Seinem wissbegierigen Sohn gegenüber hatte er sich ungeduldig und als schlechter Lehrer gezeigt.
Wenige Jahre, nachdem Greg in den väterlichen Betrieb eingetreten war, starb John, und Greg trat an seine Stelle. Von diesem Augenblick an stand Matthias dem jungen Chef zur Seite. Er beriet ihn und half ihm dabei, so weit zu expandieren, dass er seinen Bruder auszahlen konnte. Matthias behandelte Greg wie den eigenen Sohn, den er niemals bekommen hatte. Er gab seine Kenntnisse und Fähigkeiten an ihn weiter, besprach seine Ideen mit ihm, steckte ihn mit seiner Begeisterung für Wein und Kellerei an und bot ihm sogar seine Freundschaft. Genau deshalb hatte ihn der Verrat so geschmerzt und ihn fast am Boden zerstört. Marys Krankheit hatte ihn bereits tief getroffen, aber Gregs Weigerung, ihm zu helfen – das war in einem gewissen Sinne fast der größere Schlag gewesen.
Auch Mary
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