Himmel, hilf!
sehen. Nun stand Greg vor ihm, die Erniedrigung war ihm anzumerken – aber zu seiner eigenen Überraschung empfand Phil keinerlei Genugtuung.
Die Stimme versagte ihm. In seinem Gehirn herrschte Leere, aber dafür schien ihm plötzlich das Herz überzufließen. Tränen traten ihm in die Augen, und er musste sich zusammenreißen, um seine Gefühle nicht zu zeigen.
Wortlos, wie unter Zwang traten die Brüder aufeinander zu und umarmten sich.
“Was ist passiert?”, fragte Phil mit einem Blick auf Gregs Verband, sobald sie sich wieder losgelassen hatten.
Als hätte er seine Verletzung bereits vergessen, fasste Greg sich an den Kopf. “Ach, eigentlich nichts. Kein Anlass zur Sorge.”
“Matthias”, begrüßte Phil seinen Cousin. “Ich wusste gar nicht, dass du immer noch in Kalifornien wohnst.”
“Das tue ich auch nicht. Ich bin hergekommen, um meine Familie zu besuchen – und um mich bei Greg zu bedanken. Er hat meinem Enkel Knochenmark gespendet.”
Wie bitte? Greg hatte sich freiwillig Knochenmark entnehmen lassen? Phil erinnerte sich noch gut an die Abneigung seines Bruders gegen Spritzen. Damals war er beim Arzt immer ohnmächtig geworden, wenn er geimpft werden musste.
“Ich …” Offenbar fühlte Greg sich plötzlich unwohl in seiner Haut. “Mein genetisches Profil hat mit dem des Jungen übereingestimmt. Du weißt doch noch, dass Matthias Dads Cousin ist, oder?”
Phil nickte.
“Wie geht es dir?”, erkundigte sich Matthias.
“Gut”, antwortete Phil, und die beiden drückten sich die Hand.
“Arbeitest du immer noch für die Pacific Union Bank?”, fragte Matthias.
“Ja.” Phil ahnte bereits, worum der Cousin ihn bitten wollte.
“Kannst du dann nicht Greg dabei helfen, die Finanzspritze zu bekommen, die er zur Rettung seines Weinbergs braucht?”
“Was willst du ihm antworten?”, flüsterte Sandy. Sie war von hinten herangekommen und hakte sich bei ihrem Mann unter. Bestimmt haben die anderen beiden nichts gehört, dachte Phil, der wieder an die Stimmen der drei merkwürdigen Blondinen denken musste.
Du versteckst dich hinter einer Fassade der Wohlanständigkeit … Der ach so tugendhafte Bruder …
“Ich sorge dafür, dass du deinen Kredit bekommst.” Phil sah Greg direkt in die Augen. “Komm nach Weihnachten in meinem Büro vorbei, dann machen wir die Unterlagen fertig.”
Sprachlos starrte Greg ihn einen Moment lang an. “Phil”, setzte er zögernd an, “willst du das wirklich für mich tun, nachdem …” Die Worte schienen ihm im Hals stecken zu bleiben.
“Wir haben wohl beide Zeit gebraucht, um erwachsen zu werden.”
“Danke.” Gregs Stimme klang erstickt und rau.
“Greg!”, schrie eine weibliche Stimme erschrocken auf.
Als Phil sich umdrehte, sah er eine unwiderstehlich schöne Frau auf seinen Bruder zueilen. Sie war mindestens zwanzig Jahre jünger als er. “Um Himmels willen, was hast du nur gemacht?”
Greg ertrug es lächelnd, dass die Frau ihm über die Wange strich und sich den Verband genau ansah. “Wie ist das passiert? Du liebe Zeit, du ahnst nicht, was für einen Schrecken ich bekommen habe, als die Krankenschwester mich angerufen hat.”
Ohne zu antworten, legte Greg ihr den Arm um die Schultern und wandte sich an Matthias, Phil und Sandy. “Das ist Tess, meine Ex…, meine Frau”, erklärte er mit einem jungenhaften Lächeln.
“Hallo, Tess”, sagte Sandy als Erste und lud die Jüngere mit der ihr eigenen Freundlichkeit zum Weihnachtsessen ein. Auch Matthias und Gloria wurden herzlich gebeten, sich dazuzugesellen. Matthias wusste zwar, dass seine Tochter den größten Teil des Weihnachtstages bei Tanner verbringen wollte, aber für ein paar Stunden konnte sie sicher kommen.
“Können wir nicht hingehen, Greg?”, fragte Tess mit weit aufgerissenen Augen. “Du weißt doch, wie ungern ich koche. Außerdem wird es langsam Zeit, dass ich deine Familie kennenlerne, meinst du nicht auch?”
Immer noch lächelnd, nickte Greg.
Die Frauen fingen eine Unterhaltung an, an der die Männer schon bald keinen Anteil mehr hatten. Doch das schien weder Phil noch Greg oder Matthias das Geringste auszumachen.
“Habt ihr so etwas Unglaubliches schon einmal gesehen?”, fragte Goodness von ihrem Platz auf dem Krankenhaus-Wandleuchter. Neben ihr saßen Shirley und Mercy, die sich bei dem Gedrängel den einen oder anderen Stoß in die Rippen einfingen.
Es stimmte: Greg so mit seinem Bruder, seinem Cousin und seiner Frau zu sehen, konnte einen schon
Weitere Kostenlose Bücher