Himmel uber Langani
an. »Was soll ich denn singen?«, wollte sie wissen.
»Keine Ahnung. Früher hast du einfach Lieder erfunden. Meinst du, dir fällt für mich und Lars etwas ein?«
»Du spinnst komplett, Hannah. Aber ich werde es versuchen.«
Das Haus war mit Blumen geschmückt, und aufgeregtes Gelächter hallte durch die Räume. Anthony würde Trauzeuge sein. Sergio und seine Familie waren aus Südafrika eingetroffen und Lars’ Eltern aus Norwegen angereist. Freunde von den Farmen im ganzen Land versammelten sich und stellten auf dem Feld hinter dem Garten ihre Zelte auf. Am Tag der Hochzeit strahlte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Der Kirinyaga mit seinen schneebedeckten Gipfeln ragte in den azurblauen Morgen. Mwangi sagte, der Berg gebe Hannah seinen Segen. Um fünf Uhr nachmittags standen Hauspersonal und Farmarbeiter mit ihren Familien rings um die Veranda Spalier, als Sergio Hannah die Stufen hinunter und in den Garten führte, wo Lars sie erwartete. Unter einem mit Girlanden geschmückten Bogen auf dem Rasen stand der Tisch, den Hannah als Altar ausgewählt hatte. Er war auf dem ersten Ochsenwagen der Familie auf die Farm gekommen. Heute war er mit einem weißen Leinentuch bedeckt, das ihre Urgroßmutter als Teil ihrer Aussteuer selbst bestickt hatte. Der Geistliche der Holländischen Reformkirche erhob sich, um mit der Trauungszeremonie zu beginnen. Es war ein bittersüßer Moment, denn das freudige Ereignis von Hannahs Hochzeit wurde von den Gedanken an Piet überschattet, einem glücklichen jungen Mann, der mitten aus dem Leben gerissen worden war. In den Stunden vor der Zeremonie war Sarah von derselben schrecklichen Trauer gequält worden, die sie bei seinem Tod empfunden hatte. Als sie Hannah durch die Menge der Hochzeitsgäste folgte, konnte sie den Schmerz kaum ertragen. Sie sah die Rührung in Lars’ wettergegerbtem Gesicht, als er nach der Hand seiner Braut griff. Anthony legte tröstend den Arm um ihre Taille, während sie ein Schluchzen unterdrücken musste.
Gerade wollte der Geistliche die Begrüßungsworte sprechen, als Sarah aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Mit einem leisen Ausruf zupfte sie Anthony am Ärmel. Hannah, die das Geräusch gehört hatte, drehte sich um und folgte Sarahs Blick: Camilla stand zögernd am Ende des Mittelgangs und suchte nach einer Möglichkeit, sich unauffällig zu setzen. Ein Raunen entstand, als Hannah Lars etwas ins Ohr flüsterte und ihn dann stehen ließ. Sie nahm Sarah am Arm und zog sie durch die Menschenmenge, wo sie Camilla um den Hals fielen und dann mit ihr zum Altar zurückkehrten. Sarah hatte vor dem Moment gegraut, in dem Hannah und Lars die Trauungsformel sprechen würden. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, den Augenblick mit Piet an genau dieser Stelle zu erleben. Doch als die beiden einander versprachen, sich bis ans Ende ihrer Tage zu lieben und zu ehren, empfand sie nichts als ein tiefes Glücksgefühl. Der Schmerz über ihren eigenen Verlust ließ nach, als sie Hannahs strahlendes Lächeln sah. Dann trat sie vor, um zu singen.
Sarah hatte tagelang an dem Lied gefeilt, und am Vorabend der Hochzeit waren ihr endlich der passende Text und die Melodie eingefallen. Nun erhob sich ihr klarer Sopran in die Abendluft, und all ihre Liebe und ihr Hoffnungen für ihre Freunde schwangen darin mit. Eigentlich hatte sie ja befürchtet, dem Ansturm der Gefühle bei der Hochzeitsfeier nicht gewachsen zu sein. Doch als die letzte Note verklang, waren es die anderen Gäste, die reglos dastanden und Tränen in den Augen hatten. Im nächsten Moment stimmten die Farmarbeiter einen Jubelgesang an. Der Geistliche spendete den Segen, und alle drängten sich um Braut und Bräutigam. Hannah jedoch bahnte sich einen Weg durch die Menge und lief zu Sarah und Camilla hinüber. Dann fielen sich die drei Freundinnen lachend und weinend vor Freude in die Arme und drückten sich, bis sie kaum noch Luft bekamen.
Nach dem Hochzeitsessen hallten Trommeln durch die Luft, und alle Gäste schlenderten hinunter zu der Stelle, wo das Lagerfeuer entzündet werden sollte. Die Farmarbeiter hatten ihre traditionelle Stammeskleidung angelegt. Die Frauen scharten sich tanzend und singend um Hannah und Lars und klatschten in die Hände, während die Männer johlend Luftsprünge und Purzelbäume vollführten. Ihre Umhänge aus Ziegenleder, die scharlachroten shukas , die Perlenketten und der Kopfschmuck schimmerten im Feuerschein. Lars hatte für einen gebratenen Ochsen und Bier
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