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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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ein Schwall klarer Luft und das bläuliche Schwarz des Nachtlichts durch die geöffnete Luke hereinquollen.
    Winston begriff, wie minutiös ihre Flucht geplant war. Obwohl das Firmament von einer dunklen Wolkenschicht verschleiert war, drang doch ein Hauch mattgrauen Lichts von Sternen und Mondsichel hindurch, und der gewaltige Leib des Palastes warf einen schwarzen Schatten in den Winkel zweier Mauern, gerade noch groß genug, um die Umrisse vierer aneinander gedrängter, leicht bepackter Pferde und einer immens beleibten Person in sich zu bergen, die sich sofort in die dunkel gekleideten, halb vermummten Gestalten von Sarasvati, Paramjeet und Sitara aufspaltete.
    Wie ihnen geheißen worden war, schwangen sich Winston und Bábú Sa’íd sofort in die Sättel, ebenso Sitara und Mohan Tajid, gaben den Tieren die Sporen und jagten in die Nacht hinaus, ohne einen Blick zurück.
    Die Köpfe der dunkelfelligen Pferde waren unter mit Gucklöchern versehenen Säcken verborgen, um unerwünschtes Wiehern und Schnauben zu dämpfen; doch obwohl ihre Hufe dick mit Stoffstreifen umwickelt waren, um das verräterische Klacken der Hufe auf Stein zu unterdrücken, schien ihr Galopp über die Ebene zu hallen, einer Büffelherde gleich, immer wieder im drohenden Grollen eines Donners aufgehend. Scharf schnitt ihnen der Wind ins Gesicht, ließ ihre Augen tränen, und die Schwüle der Nacht ließ den Schweiß in Strömen über ihre Körper rinnen. Dunkel ballten sich Wolken am Horizont zusammen, vereinzelt von den schwefelgelben Irrlichtern der ersten Blitze erleuchtet.
    Ein Schrei gellte in ihrem Rücken, schoss durch die Leere der Landschaft, markerschütternd, gurgelnd ersterbend; dann flüsternd ein Brausen wie von zahllosen Stimmen. Tief über die flatternde Mähne seines Pferdes gebeugt, warf Winston Sitara einen Seitenblick zu. Unter ihrem Turban aus dunklem Stoff und mit dem geschwärzten Gesicht wirkte sie wie ein kleiner Mohr aus einem orientalischen Märchen, mühelos mit den Männern Schritt haltend, scheinbar eins mit dem Pferd unter ihr. Ihre Augen fixierten unbeweglich die Dunkelheit vor ihnen, und nur ein leichtes Zusammenkrampfen ihrer Finger um die straff gespannten Zügel verriet, dass sie ahnte, was an der Palastmauer geschehen war.
    Ihr Vorsprung war beträchtlich, aber rasch krochen über den Boden die Schallwellen unzähliger Hufe wie ein Sandsturm, der eine Sandwolke auf der Erde aufwirbelt und sich unaufhaltsam vorwärts schiebt, und ließen ihnen kalte Schauder den Nacken hinunterlaufen. Laute Rufe schossen durch die Nacht, dann Gewehrsalven und das Pfeifen von Kugeln. Eines der Pferde schrie auf, schrill, wütend, schmerzerfüllt, und mit einem reflexartigen Blick über die Schulter sah Winston, dass es das Reittier Bábú Sa’íds war, das sich aufbäumte und dann zusammenbrach, Winstons sepoy unter sich begrub, und noch im selben Augenblick fühlte er einen Hieb an der Schulter. Er hörte Mohan Tajid zischen: »Er oder wir«, und wie von selbst verstärkten seine Schenkel den Druck, trieb er sein Pferd weiter an.
    Von der Seite schoben sich die Tafelberge heran, und Mohan Tajid schlug einen Haken, rief ihnen ein für Winston unverständliches Wort zu, auf das Sitara aber sofort reagierte, Winston abrupt in die gleiche Richtung drängend. Ehe Winston begriff, dass vor ihnen der Boden an einer harten Kante abbrach, war sein Pferd in blindem Vertrauen demjenigen Mohan Tajids gefolgt, schlitterte mit kaum gebremster Geschwindigkeit die steile Böschung hinab, vollzog in einem absurd scharfen Winkel eine halbe Wendung und fasste keuchend auf Fels wieder Tritt. Urplötzlich umfing sie Finsternis, schwärzer als die Nacht selbst.
    Es brauchte einige Herzschläge, ehe Winston Konturen zu erahnen vermochte. Zitternd tat er es Mohan und Sitara gleich und stieg ab. Jeder Muskel seines Körpers schien zu schmerzen, und seine Kehle war ausgedörrt.
    Dumpf und schwer begann die Luft zu vibrieren, formte sich zu einem dunklen Grollen, das anschwoll, sich in einem langgezogenen Donner entlud, der das Gestein um sie herum in Schwingung zu versetzen schien, und die Hufschläge, die herankamen, waren sein Echo. Sie ebbten ab, lösten sich auf in das vereinzelte Klappern der ausschwärmenden Reiter, deren Zurufe, unmöglich einer bestimmten Richtung zuzuordnen. Ein Blitz schoss durch die Nacht, erleuchtete einen winzigen Augenblick lang den Eingang zu der Höhle, in der sie sich befanden, ehe wieder vollkommene Schwärze

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