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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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herrschte.
    Von weitem waren erneut eilige Hufschläge zu hören, weniger diesmal, und in der herrischen Stimme, die laut eine Erklärung forderte, erkannte Winston diejenige Dheeraj Chands. Murmelnde Männerstimmen, entschlossen und ratlos zugleich. Scharf klackten die Hufe eines nervös tänzelnden Pferdes über Geröll. Ein erneuter Blitz, ein Donner, scharf und krachend, und dann, tausendfach, das Rauschen des Regens, von einer Sekunde zur nächsten strömend, schüttend, gießend, und Winston glaubte  in der Finsternis das helle Aufblitzen von Mohan Tajids Grinsen zu sehen.
    Ein Kommandoruf war zu hören, erstickt von den Fluten des Himmels, das langsame Zusammenziehen von scharrenden Hufen, die sich zu entfernen begannen. Und dann drohend, weit über die Ebene Rajputanas hallend, die Stimme des Rajas, der gegen den Monsun anbrüllte.
    »Ich bin Dheeraj Chand, Sohn der Chandravanshis, und bei den Seelen meiner Ahnen verfluche ich euch! Mohan, du sollst nicht länger mein Sohn sein – Sitara, du nicht länger meine Tochter. Ich werde nicht ruhen, ehe euer Blut und das des feringhi die Schande von unserem Clan und unserer varna weggewaschen hat. Das schwöre ich im Angesicht Shivas!«
    Als bezeugten die Götter seinen Schwur, gab es einen gewaltigen Donnerschlag, der in ein bösartiges Rollen auslief. Und dann Stille, bedrückende, lähmende Stille unter dem Gewicht des Regens.
    Erschöpft ging Winston in die Hocke, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Felswand und vergrub seinen Kopf in den Händen. Mit einem Mal begriff er, dass er in dieser Nacht alles verloren hatte, was sein Leben bislang ausgemacht hatte. Er sah seinen roten Uniformrock vor sich, wie er über der Stuhllehne seines Palastzimmers hing, von Bábú Sa’íd noch an diesem Morgen fein säuberlich ausgebürstet, und mit ihm hatte er alles hinter sich gelassen: seine militärische Karriere, Edwina, selbst seine Familie im fernen England. Es gab kein Zurück mehr; von nun an war sein Schicksal untrennbar mit den beiden Menschen verbunden, die mit ihm in der Dunkelheit kauerten. Schmerz um diesen Verlust und Trauer um das Schicksal seines treuen sepoy durchfluteten ihn, und ungehemmt ließ er seine Tränen fließen.
    Sitaras warmer Körper schmiegte sich an ihn, stumm und doch beredt. Fest schloss er sie in die Arme, suchte Halt und Trost an ihr, vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge, atmete den Duft ihrer Haut, und er wusste, dass es richtig gewesen war, diesen hohen Preis zu bezahlen. Er hob den Kopf.
    »Mohan?«, flüsterte er in die Schwärze hinein, und als keine Antwort kam, wiederholte er: »Mohan?«
    Vorsichtig fühlte er sich durch das Dunkel, Sitara an seiner Hand, ehe er die Körperwärme des jungen Chand wie einen greifbaren Schatten spürte. Als er ihn berührte, stieß Mohan ihn unsanft weg.
    »Du hast unsretwegen deiner Familie entsagt und dein Leben riskiert. Das werde ich dir nie vergessen«, flüsterte Winston rau.
    Mohan reagierte nicht. Dann, nach einer kleinen Ewigkeit, hörte Winston ihn sich bewegen. Er tastete nach Winstons Hand, legte etwas metallisch Kaltes, Scharfkantiges hinein, an einer Seite warm und feucht.
    »Ihr seid jetzt meine Familie«, hörte er Mohan heiser, kaum hörbar sagen, »und du bist mein Bruder.«
    Winston schluckte, zögerte, ehe er entschlossen die Klinge des Dolchs in seine Handfläche drückte. Ein brennender Schmerz, und er spürte warm das Blut hervorquellen, ergriff Mohans Hand, drückte sie fest.
    »Bis zum Ende«, gelobte er mit zitternder Stimme.
    »Und darüber hinaus.«

7
      U nablässig goss es, floss der Regen in Strömen vom Himmel, und das fahle Licht, das Stunde um Stunde vor dem Eingang der Höhle stand, im Inneren kaum mehr als Schemen erkennen ließ, gehörte eher zu einer Dämmerung als einem hellen Tag. Völlig durchnässt kehrte Mohan Tajid von draußen zurück und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
    »Keine Menschenseele weit und breit, die Wüste ist ein einziger Morast.«
    Es war eine unbequeme Nacht für sie gewesen, zusammengekauert aneinander und an den Fels gelehnt, nur notdürftig mit dünnen Decken geschützt. Die Feuchtigkeit war überall, ließ die Stoffe sich voll saugen und klamm werden, schien in jede Pore zu dringen, ebenso wie die Angst, entdeckt zu werden.
    »Wir sollten aufbrechen.« Winston nieste. »Hier holen wir uns den Tod. Beim Reiten wird uns wenigstens warm werden.«
    »Das tun wir, und zwar sofort.« Mohan nahm die Zügel seines Pferdes und

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