Himmel über Darjeeling
machte Anstalten, es aus der Höhle zu führen.
»Und wohin?« Winston nieste noch einmal.
Belustigt und eine Spur spöttisch grinste Mohan ihn an.
»Es war klug von dir, nicht gegen den Raja im Schach anzutreten, du hättest dich um Kopf und Kragen gespielt. Du denkst keine drei Züge weit voraus.« Dafür erntete er einen Boxhieb, den er mit einem noch breiteren Grinsen quittierte.
Als sie aufsaßen, die Muskeln kalt und verspannt, und den Weg nach Südwesten einschlugen, blickte Winston immer wieder über die Schulter, hielt mit zusammengekniffenen Augen Ausschau nach etwas, was ihm einen Hinweis auf das Schicksal Bábú Sa’íds geben konnte, bis ihn Mohan leicht an der Schulter anstieß. Winston sah ihn an, und Mohan schüttelte den Kopf.
»Blick nie zurück, Winston. Nie.«
Sie ritten vorzugsweise bei Tag, auch wenn es das Risiko barg, leichter in der Wüste entdeckt zu werden. Doch Mohan Tajid setzte darauf, dass ihre Verfolger sie weder als derart leichtsinnig einschätzten, noch als derart verrückt, dass sie tatsächlich versuchen würden, eine Landschaft zu Pferd zu durchqueren, die sich innerhalb von Stunden in ein Schlammbecken verwandelt hatte, durch das sich Bäche von Wasser schoben und in Teichen sammelten, deren Tiefe nicht zu schätzen war. Mit Erfahrung, Logik und Instinkt ging er davon aus, dass der Raja seine Männer in alle Teile des Landes ausschwärmen lassen würde, sobald die Erde zu trocknen begann, und dann ihre Fährte aufnehmen und sie gnadenlos jagen würde. Der Monsun war ihr Freund, denn solange er währte, waren sie sicher.
Doch es war ein mühseliges Vorankommen: Bei jedem Schritt versanken die Hufe mit einem schmatzenden Geräusch im Schlamm, jede Meile kostete sie eine kleine Ewigkeit und die Pferde enorme Anstrengung, während die heißen Monsunwinde den Regen über das Land peitschten. Rasten konnten sie nur in Höhlen, unter Felsvorsprüngen oder nacktem Stein. Fand sich keine solche Stelle, schliefen sie wenige Stunden auf dem Rücken ihrer erschöpften Pferde.
Doch das Unerträglichste war der Regen. Seit Tagen hatten sie keinen trockenen Faden mehr am Leib gehabt. Manche Stunde ließ der Monsun nach, zeigten sich helle Flecken in der Wolkendecke, doch kurz darauf goss es wieder erbarmungslos. Der Regen machte ihnen zu schaffen – und der Hunger. Aus Angst, eine leicht zu verfolgende Spur für den Raja zu hinterlassen, wagten sie es nicht, den Weg über eine der weit verstreuten Ortschaften zu nehmen oder an einem einsam gelegenen Bauernhaus zu rasten, und ihre ohnehin dürftigen Vorräte gingen zur Neige. Kein Mensch, der bei Verstand war, unternahm jetzt eine Reise, und mit ihrem durchnässten, zerlumpten Aussehen, müde und schmutzig, machten sie sich verdächtig.
Es war ihre Gemeinschaft, die sie durchhalten ließ. Ein Blick zwischen Mohan und Winston, ein aufmunterndes Zunicken oder Schulterklopfen, Winstons und Sitaras Hände, die einander fanden, Sitaras Finger, die zart über die dunkle fadendünne Kruste in Winstons Handfläche strich: All das machte ihnen Mut und ließ sie die Strapazen ertragen, das und der unerschütterlich nach vorne gerichtete Blick.
Monate schienen vergangen zu sein – oder waren es kaum mehr als ein Dutzend Tage und Nächte? –, als hinter dem Vorhang aus Regen kleine Steinwürfel auftauchten: die Häuser von Jaipur. Bedrohlich baute sich das Singh Pol, das Löwentor, vor ihnen auf, wie ein Maul, das sie zu verschlingen drohte, umgeben von der über sieben Yards hohen und drei Yards dicken Stadtmauer, zinnenbewehrt, mit Schießscharten und Kanonenlöchern, ihrer Natur nach eher abschreckend denn einladend. Deutlich war zu sehen, dass die Städte Rajputanas in erster Linie immer die Funktion einer Festung ausübten. Schnurgerade zogen sich die breiten, baumbestandenen Straßen hin, kreuzten einander alle sieben Häuserblocks. Die Straßen waren leer, und die wenigen Menschen, denen sie begegneten, hasteten durch den Monsun, um schnell wieder ins Trockene zu gelangen, und so achtete kaum jemand auf die drei abgerissenen, durchweichten Reiter auf ihren erschöpften Gäulen. In den Gassen der Basare saßen die Händler und Handwerker mit Verwandten, Nachbarn oder Kunden bei einem Glas chai zusammen, halbherzig Verhandlungen führend oder einfach nur schwatzend, während vor den Auslagen ihrer bunten Waren das Wasser von den Dächern troff. Zielstrebig ritt Mohan Tajid durch das Schachbrettmuster der Straßenzüge, und Sitara und
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