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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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schluckte schwer an dessen Vorwurf, er sei nicht Herr seiner Sinne, litt darunter, Sitara so lange nicht mehr sehen zu dürfen, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als die Tage verstrichen, in denen er angestrengt bemüht war, einen Anschein von Normalität zu bewahren, die Nächte, in denen er in die schweigende Dunkelheit des Palastes hineinhorchte, um nicht das schwächste Signal für den bevorstehenden Aufbruch zu versäumen. Und die Zeit wurde knapp: Immer kürzer, immer seltener wurden die Stunden, für die der Raja ihn zu sich befahl; immer häufiger konnte er an den umherschweifenden Blicken, einer leichten Gereiztheit in dessen Tonfall erkennen, dass Dheeraj Chand des Spiels mit ihm überdrüssig wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Fürst sich seiner entledigen würde, auf welche Weise auch immer. Zudem nahte die Regenzeit, wenn auch spät in jenem Jahr. Der klare Himmel war oft von einem milchigen Schleier überzogen; am flachen Horizont ballten sich Wolken zusammen, konnte man fernes Donnergrollen über der Stille der Wüste hören, wenn auch kaum lauter als das Gezirpe der Grillen. Das Eis wurde dünn, für sie alle, doch nichts geschah.
    Dann, eines Nachts, ließ Winston das leise Klicken der Geheimtür aus seinem unruhigen Schlaf auffahren. Ein schwarzer Schatten in der Finsternis, geschmeidig und lautlos wie eine Katze, glitt Mohan Tajid durch das Zimmer, warf ihm und dem ebenfalls aufgeschreckten Bábú Sa’íd je ein Bündel dunkler Kleidung zu, zeigte ihnen, wie sie Sohlen und Absätze ihrer Stiefel mit Stoffstreifen umwickeln sollten, um ihre Schritte lautlos zu machen, reichte ihnen Kohle, ihre Gesichter unter den hastig um den Kopf geschlungenen dunklen Turbanen zu schwärzen, und als dreifacher Schatten verschwanden sie hinter der Holztäfelung.
    Winstons Kehle war trocken, und sein Herz raste, als er sich hinter Mohan Tajid durch den stockfinsteren Gang tastete. Hart prallte er gegen den jungen Mann, als dieser abrupt stehen blieb.
    »Ehe wir wieder belauscht werden könnten oder keine Zeit mehr bleibt: Sobald wir bei den Pferden sind, sitzt ihr auf und reitet los, so schnell ihr könnt. Dreht euch nicht um, gleich, was hinter eurem Rücken vor sich gehen mag. Rings um den Palast ist die Landschaft eben, und wenn auch der Himmel bewölkt ist, so kann man doch von den Zinnen aus einige Meilen weit sehen. Ich hätte eine mondlose Nacht bevorzugt, aber der Raja plant, euch beide so schnell wie möglich loszuwerden. Länger können wir unmöglich warten.«
    Während er flüsterte, nestelte er unter seiner Jacke eine kleine Fackel hervor und entzündete sie. Die Flamme gab nur einen schwachen Schein von sich, der halb von den rissigen Mauern verschluckt wurde, doch so konnten sie schneller voranschreiten. Dieses Mal ließ Mohan Tajid die Tür unbeachtet, die sonst immer auf dem Weg zum verbotenen Teil des Palastes lag. Der Gang schien hier zu Ende zu sein; das gelbliche Flackern beleuchtete eine Wand aus grob zugehauenem Stein. Winston sah Mohan Tajid fragend an, und dieser antwortete mit einem breiten Grinsen.
    »Eine optische Täuschung«, erläuterte er flüsternd. »Zwei dicht hintereinander liegende Wandteile mit einem schmalen Spalt dazwischen, die aber im Lichtschein wie eine einzige massive Gesteinswand wirken. Meine Vorfahren hatten einen merkwürdigen Sinn für Humor. Dankt den Göttern, dass ich diesen Gang entdeckt habe.«
    Seitwärts schob sich Mohan rechts an dem ersten Wandteil vorbei. Den Kopf tief eingezogen, den Atem angehalten, zwängte sich Winston hinter ihm hindurch, überzeugt, darin stecken bleiben zu müssen. Das raue Gestein schürfte schmerzhaft an seinem Brustkorb und Rückgrat entlang und quetschte seine Rippen zusammen. Dahinter war kaum genug Raum, um sich zwischen den beiden Wänden durchzudrängen, allenfalls um sich seitwärts hindurchzudrücken, dann kam die ebenso schmale Lücke links des zweiten Versatzstückes. Der Felskorridor dahinter war nur wenig breiter; immer wieder stieß Winston mit seinen breiten Schultern an die Mauern, konnte fast nicht aufrecht gehen, als er, so schnell er konnte, Mohan Tajids Silhouette hinterhereilte. Der Prinz schien von plötzlicher Hast gepackt. Die Flamme, die ihren Weg eher schlecht denn recht beleuchtete, flackerte, schien kurz vor dem Verlöschen, ehe Mohan sie auf den unebenen Boden warf und austrat. Die plötzliche Finsternis schien Winston den Atem zu nehmen, ehe

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