Himmel über Darjeeling
Tempo an, um sie abzuschütteln, doch sie hielten Schritt mit ihr und Shakti, und irgendwann gab sie auf, überließ sich diesem wirbelnden Toben, das durch ihren Körper und ihren Geist sprang.
Er liebt Sie – das weiß ich … Lieben Sie ihn, bétii – das ist das Einzige, was ihn retten kann, und das Einzige, was er fürchtet … Ians Hände, vor wenigen Stunden erst, auf ihrer glühenden Haut, wie er sie küsste, schmerzhaft leidenschaftlich, ein solches Sehnen in ihr auflodern lassend, dass sie zu vergehen glaubte, sein heiseres Flüstern: »Du bist mein, Helena, mein«, und ihr Gefühl, in einen dunklen Schlund hinabgezogen zu werden, aus dem es für sie kein Entrinnen gab und der sie um ihre Seele bringen würde. Er hat seine Seele dem Teufel verkauft … Ian, ein Mörder, der Sohn eines Mörders, der als Hochverräter hingerichtet worden war. Rajiv, das Chamäleon, Rajiv, der Bastard . Ihre Hochzeit auf Surya Mahal. Als wäre er einer von ihnen … Helena lachte höhnisch auf. Er ist einer von ihnen … Die Demütigung jener Ohrfeige in London, als sie ihm in ihrer Wut unwissentlich seinen alten Schimpfnamen entgegengeschleudert und ihn damit an seiner empfindlichsten Stelle getroffen hatte. Ian und Rajiv, die zwei Gesichter einer zerrissenen Seele, die die Narben dieses Landes auf ihrer Haut und in ihrem Herzen trug. Der alte Raja, der seine Tochter und deren Kinder der Ehre seines Volkes opfern wollte, der das Gift der Rache seinem Enkel vermacht, seine Seele verseucht hatte. Dem Teufel verkauft … Lieben Sie ihn, bétii … Lieben Sie ihn? Ich weiß es nicht mehr …
Helena schluchzte auf, trocken, bitter, wütend, doch keine Träne floss, und der Donner, der krachend die Finsternis entzweiriss, den Boden unter Shaktis Hufen erbeben ließ, unter ihnen davonrollte, verschluckte ihr Schluchzen, ihr leises Murmeln, fort, nur fort – ich will fort …
Zweige peitschten ihr ins Gesicht, doch sie merkte es nicht; sie ritt, als sei der Teufel selbst hinter ihr her und streckte seine Klauen nach ihr aus. Sie floh, wie Winston und Sitara geflohen waren, jahrelang; eine Flucht, deren Erinnerung noch immer in Ians Adern floss wie sein gemischtes Blut, und sie floh vor der gleichen Grausamkeit, dem gleichen Entsetzen, das nicht ihren Leib, sondern ihre Seele bedrohte, und sie wollte nur eines: vergessen, Ian, Rajiv, alles, was sie erlebt, was sie gesehen, was sie gehört hatte, aus ihrem Gedächtnis, ihrem Herzen verbannen. Fort, nur fort …
Langsam schlich sich von Osten ein fahlgelbliches Licht heran, zu schwach, um in die dichten Wälder hineinzudringen, schälte aus der Schwärze der Nacht die schmutzig grauen Wolkenmassen heraus, die sich immer tiefer Richtung Erde zu drücken schienen. Erst als die ersten Häuser von Darjeeling auftauchten, ließ sie die Zügel locker, und Shakti ging schnaubend in einen zügigen Trab über. Ihre Hufe hallten laut von den Mauern wider, und Helena duckte sich unwillkürlich, als verriete sie sich dadurch in der Ausübung etwas Verbotenem. Suchend ließ sie die Stute durch die Straßen schreiten, bis sie an einer Ecke der breiten Hauptstraße die weiß getünchte Front des Hotels mit seinen Arkaden erkannte. Sie stieg ab und schlang Shaktis Zügel um eine der Säulen, redete beruhigend auf sie ein und ging die Stufen zur breiten Eingangstür empor.
Einen Augenblick lang zögerte sie. Das Gebäude lag ebenso still und verlassen da wie der Rest der Stadt – sicher war noch niemand vom Personal auf … Sie holte tief Luft und klopfte schüchtern, und als niemand antwortete, fester, hämmerte schließlich energisch gegen das massive, polierte Holz. Endlich öffnete jemand, ein verschlafener Hoteldiener, der sich offensichtlich hastig in seine schief sitzende Uniform geworfen hatte. Er wollte sie barsch abfertigen, doch Helena schnitt ihm das Wort ab und verlangte, zum Zimmer von Mr. Richard Carter gebracht zu werden.
»Miss, es entspricht nicht unseren Gepflogenheiten – «
Helenas Faust donnerte entschlossen gegen den Türrahmen.
»Bringen Sie mich zu seinem Zimmer, verdammt! Er – er erwartet mich …« Ihre Stimme war bei den letzten Worten kleinlaut geworden. Ob er sie tatsächlich empfangen würde, um diese Zeit?
Der Hoteldiener musterte sie eindringlich mit hochgezogenen Augenbrauen, und ein wissendes Lächeln schien in seinen Augen auf, das Helena verschämt und wütend das Blut in die Wangen schießen ließ.
»Bitte.« Mit einer ebenso nonchalanten wie
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