Himmel über Darjeeling
auf.
»Dann werde ich Sie selbst nach Darjeeling bringen.«
Helena schüttelte den Kopf, eine wilde Angst im Blick, und Mohan schmunzelte.
»Keine Sorge – es ist allein zu Ihrem Schutz, nicht dazu, Sie zu überwachen.« Er wurde ernst, und mit einem Anflug von bitterer Traurigkeit fügte er hinzu: »Er wird Sie nicht zurückholen. Dazu ist er zu stolz.«
»Nein, ich muss … allein sein«, bemühte sich Helena stockend das zu erklären, was sie empfand.
Mohan sah sie prüfend an, dann nickte er. »Ich bin gleich zurück.«
Helena hörte seine Schritte sich entfernen, als sie Yasmina weckte, die an den Bettpfosten gelehnt eingeschlafen war, irgendwann in den langen Stunden, als Mohan Tajid in der Sprache der Sahibs ohne Unterbrechung geredet hatte, in der Sprache, von der sie nur wenige Worte verstand.
Sie hatten gerade das letzte Kleidungsstück in den Satteltaschen verstaut, als Mohan wieder in das Zimmer trat und Helena einen kleinen Revolver entgegenhielt.
»Hier – nur für alle Fälle.«
Sie sah ihn ratlos an, und geduldig erklärte er ihr: »Hier entsichern, zielen und da abdrücken. Und so wieder sichern. – Mir wäre es wohler, wenn Sie ihn mitnähmen«, fügte er mit Nachdruck hinzu.
»Danke.« Zögernd steckte Helena den gesicherten Revolver in den Bund ihrer Reithose und schlüpfte in die hohen Reitstiefel.
Mohan reichte ihr den roten Paschminaschal mit dem Paisleymuster, der in der Hektik des Aufbruchs unbeachtet zwischen den anderen Kleidungsstücken liegen geblieben war. Helena starrte darauf, als sähe sie ihn zum ersten Mal, und plötzlich hatte sie ein enges, würgendes Gefühl in der Kehle.
»Warum haben Sie nicht versucht, ihn davon abzubringen?«
Mohan wusste, was sie meinte, und senkte den Blick.
»Manchmal müssen wir einem Ruf folgen, der lauter ist und weiter reicht als der Wille unseres kleinen, vergänglichen Selbsts. Winston war mein Blutsbruder, Ian ist sein Sohn, der den Weg Shivas geht, in der Tradition seiner kshatriya -Ahnen. Vielleicht hatte mein Vater, der Raja, Recht, und es ist das gemischte Blut in seinen Adern, das sein Verderben sein wird. Ian wird wohl immer zwischen beiden Welten hin- und hergerissen sein. Mag sein, dass es ein schlechtes Omen war, ihm zwei Namen zu geben.« Er zögerte einen Augenblick. »Ich hatte nur zwei Möglichkeiten: ihn entweder alleine diesen Weg gehen zu lassen oder dem Ruf Vishnus zu folgen und ihm beizustehen auf seinem Weg. Das erschien mir das einzig Richtige, und dafür habe ich mich entschieden.« Mohan sah Helena unverwandt an.
»Lieben Sie ihn?«
Er hatte nur geflüstert, aber Helena hatte das Gefühl, als hätte er gerufen. Ein Blitz flammte auf, und wenige Wimpernschläge später krachte ein Donnerschlag. Helena zuckte zusammen, schluckte, und in ihren Augenwinkeln brannte es.
»Ich weiß es nicht mehr.« Als sie den Schal nahm, zitterte ihre Hand, so wie ihre Stimme.
Es war ein seltsam unwirkliches Gefühl, als sie die breite Treppe hinabgingen, in nächtlichem Dämmer, nächtlicher Stille; jeder Schritt fiel Helena schwer, und gleichzeitig fühlte sie sich unablässig vorwärts getrieben. Fort – nur fort … , hallte es in ihr wider.
Draußen wartete in der warmen, dampfigen Luft einer der Stallburschen mit verschlafenen kleinen Augen, Shakti am Zügel, die unruhig mit den Hufen scharrte, aufgeregt wegen dieser so ungewöhnlichen Stunde für einen Ausritt. Geduldig ließ sie sich bepacken, und Helena wandte sich zu Mohan um.
»Leben Sie wohl, Mohan. Und danke für alles.«
Er lächelte.
»Sagen Sie nie Lebewohl. Es kann immer ein Wiedersehen geben – wenn nicht in diesem, so vielleicht in einem der nächsten Leben.« Er legte seine Handflächen zusammen und verneigte sich. »Mögen die Götter mit Ihnen sein und vor allem Vishnu seine Hand über Sie halten.« Nach einer kleinen Pause setzte er leise hinzu: »Ich wünschte, Sie würden nicht gehen. Wo Sie sind, ist das Leben – es wird traurig hier ohne Sie.«
Helena fühlte den Impuls, ihn zum Abschied zu umarmen, doch die Furcht, in Tränen auszubrechen, hielt sie davon ab. Sie schob ihren Fuß in den Steigbügel, hielt dann aber inne.
»Der Löwe … «, murmelte sie unwillkürlich und sah Mohan Tajid verblüfft an, verblüfft über diesen seltsamen Gedanken, der ihr plötzlich so wichtig erschien. »Was wurde aus dem Löwen und der Königstochter, die beide dieses Geburtsmal auf der Stirn hatten? Das Märchen, das Mira Devi erzählt hat, als – «,
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