Himmel über dem Kilimandscharo
Teil seiner komplizierten Handelsbeziehungen, und die Vorschläge, die er ihr unterbreitete, faszinierten sie.
» Ich habe aber nur wenig Geld«, wandte sie ein.
» Sie geben mir das, was Sie haben, und ich lege noch einmal so viel drauf.«
» Nein. Ich mache keine Schulden.«
Er drängte sie nicht, ließ jedoch durchblicken, dass er ihre Vorsicht für unklug hielt. Kleine Investitionen brachten kleine Gewinne, wer mehr erreichen wollte, der musste etwas wagen.
Das Weihnachtsfest – ihr erstes auf dem afrikanischen Kontinent – feierten sie alle gemeinsam in der evangelischen Missionsstation. Die beiden Krankenschwestern und der junge Pfarrer Peter Siegel hatten den Altar mit Palmzweigen und weiß blühenden Schirmakazien geschmückt, und Klara weinte vor Rührung, als die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium vorgelesen wurde, die auch daheim in Leer zu dieser Stunde in der evangelischen Kirche vorgetragen wurde. Schammi verfolgte den Gottesdienst mit viel Anteilnahme, obgleich er nicht alles verstehen konnte, doch er bemühte sich redlich, die deutschen Weihnachtslieder mitzusingen. Charlotte saß neben Christian, der die ganze Zeit über ihre Hand hielt, doch die rührselige Stimmung der anderen konnte sie nicht teilen. Sie kam sich schlecht vor, nicht würdig, an dieser christlichen Feier teilzunehmen, war sie doch nicht in der Lage, ihren Mann zu lieben und zu achten, wie eine Ehefrau es tun sollte. Stattdessen musste sie immer wieder gegen die aufsteigende Sehnsucht ankämpfen, jenes süße und zugleich so bittere Empfinden, das sie zu einem anderen Mann hinzog.
Ein Weihnachtsbrief, der vor wenigen Tagen eingetroffen war, hatte die verbotenen Gefühle wieder aufleben lassen. Ettje hatte ihnen ein gesegnetes Fest gewünscht und allerlei Neuigkeiten berichtet. So hatte Menna eine gesunde Tochter zur Welt gebracht, die Großmutter eine Grippe überstanden, und Marie hatte aus England geschrieben. George war früher als erwartet aus Sansibar zurückgekehrt, sie würden Weihnachten also alle gemeinsam mit den Schwiegereltern feiern können. Der einzige Wermutstropfen in Maries Freude war nur der schlechte Gesundheitszustand ihres Schwiegervaters. Inzwischen hatte George die Arztpraxis seines Vaters übernommen, die Arbeit machte ihm Freude, und alles sah danach aus, dass die Familie nach den langen Jahren in der Fremde endlich zur Ruhe kommen würde.
George hatte Charlotte seit ihrem Besuch auf Sansibar keine Nachricht mehr geschickt. Er war also wieder in England. Das war richtig so, dort wartete eine Aufgabe auf ihn und nicht zuletzt seine Frau mit den Kindern. Charlotte wünschte Marie alles Glück dieser Welt, sie war Georges Ehefrau, sie liebte ihn, und sie hatte es verdient, dass er nun endlich das tat, was sie sich immer gewünscht hatte. Er war sesshaft geworden und zur Ruhe gekommen. Der Stich, den diese Nachricht ihr selbst versetzte, die Unruhe und die schlaflosen Nächte waren ihr Teil, sie hatte es so verdient und würde damit fertig werden. Wie um sich selbst zu strafen, hatte sie sich Christians Wünschen gefügt, der mit zunehmender Genesung auch wieder seine Rechte als Ehemann wahrnahm. Sie hatte sich ihm mit geschlossenen Augen und fest zusammengebissenen Zähnen hingegeben, ungeduldig abgewartet, bis er sein Begehren gestillt hatte, und sich dann wortlos wieder auf ihr eigenes Bett gelegt, das man inzwischen neben dem von Christian in der Schlafkammer aufgestellt hatte. Sie hatte auch früher niemals Vergnügen bei ihren nächtlichen Begegnungen empfunden, doch jetzt verspürte sie nur noch Abscheu.
In der heißen, windigen Monsunzeit– es war schon Februar–, veränderte sich Christians Verhalten. Er schien wie aus einer Betäubung erwacht, doch es war kein frohes Erwachen, sondern vielmehr eine krankhafte Unrast, die Charlotte früher niemals an ihm bemerkt hatte. Früh am Morgen schon machte er sich im Laden zu schaffen, begann, die Waren anders anzuordnen, rückte die Regale, verschob Tische, kehrte das Unterste zuoberst, ohne dass man einen Sinn darin erkennen konnte. Er drang in den hinteren Bereich des Ladenraums ein und untersuchte Kamals Singhs Warenballen, öffnete die Verschnürung, besah sich Teppiche, Tierhörner und Seidenstoffe. Als Charlotte es ihm verbieten wollte, wurde er zornig. Sie sei blauäugig und lasse sich von diesem Inder ausnutzen, gewiss habe er diese Sachen am deutschen Zoll vorbeigeschmuggelt. Wenn die Behörden dahinterkämen, könnten sie beide,
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