Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
Vom Netzwerk:
verschneiden.
    » Was ist mit deinen Füßen passiert? Und wo sind deine Schuhe?«
    Sie hatte es also bemerkt. Charlotte hatte die Schuhe noch rasch gewechselt, bevor sie in den Laden hinunterging, aber da war es schon zu spät gewesen. Jetzt würde sie also doch lügen müssen.
    » Ich habe sie leider bei Marie stehen lassen. Eine dumme Sache. Am Abend, als ich zu Bett gehen wollte, ist mir eine Flasche heruntergefallen, und ich bin in die Scherben getreten. Da hat Marie mir diese Bastschuhe geliehen. Sie waren bequemer, wegen der dicken Verbände…«
    Sie hatte keine Chance, nicht bei Klara, die sie so gut kannte, dass sie ihre Gedanken lesen konnte. Vielleicht wäre die Cousine bei anderer Gelegenheit schweigend über diese Lüge hinweggegangen, heute jedoch war sie nicht dazu geneigt.
    » Was für ein Pech. Du bist mit beiden Füßen in die Scherben getreten? War es denn dunkel im Zimmer?«
    » Ja, ja– es war dunkel. Ich habe nach den Streichhölzern gesucht, um die Lampe anzuzünden.«
    » Ach!«
    Wieder wurde es still. Charlotte entschloss sich, den Tisch vor den Laden zu schieben, um ihre Waren dort auszustellen– der Himmel war zwar noch wolkenverhangen, doch es regnete nicht mehr.
    » Charlotte?«
    Sie antwortete nicht. Es war schwierig, den Tisch zu bewegen, ohne etwas Zerbrechliches umzustoßen.
    » Ich weiß, dass Marie nicht auf Sansibar ist, Charlotte. Sie ist mit den Kindern in England.«
    Charlotte erstarrte. Klara sprach leise, wie es ihre Art war, ihre Worte klangen nicht einmal vorwurfsvoll, nur unendlich traurig.
    » Gestern Mittag kam ein Brief aus Leer. Von Ettje. Meine Mutter ist gestorben.«
    » Deine Mutter? Tante Fanny? Aber sie… sie war doch… ganz gesund…«
    » Sie hat nicht geklagt. Man fand sie am Morgen tot in ihrem Bett…«
    » O mein Gott! Es… es tut mir so leid, Klara!«
    Charlotte ließ den Tisch stehen, lief zu Klara hinüber und umarmte sie. Jetzt endlich kamen die Tränen, sie schluchzte, streichelte Klaras schmale Schultern, weinte über den dummen Streit und ihre Lügen, über ihre Enttäuschung, ihren Kleinmut und ein bisschen auch um Tante Fanny. Klara hielt ihre Hände fest, und auch ihr Kummer löste sich in Tränen auf.
    » Es ist nur schlimm, dass ich nicht einmal zu ihrer Beerdigung gehen konnte, alle waren dort, sogar Marie ist aus England gekommen…«
    » Eines Tages werden wir uns die Reise nach Deutschland leisten können, dann werden wir ihr Grab besuchen, Klara. Das verspreche ich dir.«
    Klara hatte nicht einmal Abschied von ihrer Mutter genommen, bei Nacht und Nebel waren sie aufgebrochen, und nun würde sie sie in diesem Leben nicht wiedersehen. Wie seltsam– sie hatten offenbar geglaubt, das Leben in der kleinen Stadt würde still stehen, alles bliebe so, wie sie es zurückgelassen hatten. Doch dem war nicht so. Auch dort nahmen die Dinge ihren Lauf, und jeder Tag, jeder Monat, jedes Jahr vergrößerte den Abstand zwischen ihnen und der Heimat.
    Am Nachmittag erschien Kamal Singh in ihrem Laden, um ihnen den gewohnten Tee zu bringen. Er wusste bereits, dass Charlottes Ehemann zurückgekehrt war, worüber er nicht sonderlich erstaunt wirkte. Er brachte ihnen eine Schachtel mit einem grauen Pulver, das die Geschwüre heilen sollte; woraus es bestand, konnte er nicht sagen.
    » Sie müssen nicht traurig sein«, sagte er zu Klara. » Die Seele Ihrer Mutter ist nun erlöst, und wenn sie ein tugendhaftes Leben geführt hat, wird sie sich mit Gott vereinigen.«
    Er lächelte, als Klara zweifelnd die Stirn runzelte, schließlich hing er einem ganz anderen Glauben an als sie. Dennoch dankte sie ihm freundlich und meinte, sie sei überzeugt davon, dass die Seele ihrer Mutter im Himmel sei.
    In der Nacht schlief Charlotte auf einer Decke am Fußboden neben Christians Krankenlager. Er fieberte und murmelte allerlei Ungereimtes vor sich hin, rief irgendwelche Leute beim Namen, gab Befehle, jammerte, flehte, fluchte– hin und wieder weinte er. Sie flößte ihm Wasser ein und hoffte inständig, er möge endlich einschlafen; sie war am Ende ihrer Kräfte. Doch wenn sie ihn stützte, damit er aus dem Becher trinken konnte, fasste er ihre Schulter und klammerte sich an ihren Arm.
    » Du gehst nicht fort, nicht wahr? Es ist so verdammt dunkel, ich kann dich nicht sehen…«
    » Aber nein, die Lampe brennt doch. Ich bin bei dir und passe auf dich auf. Trink jetzt. Noch einen Schluck. So ist es gut…«
    » Die Geister der Hölle«, phantasierte er. » Tausendstimmig

Weitere Kostenlose Bücher