Himmel über dem Kilimandscharo
Gouvernementsregierung sollten sich nachts in dieses Haus schleichen, um mit schwarzen Mädchen Unzucht zu treiben? Das konnte doch nur eine Lüge sein. Und Christian– was immer man über ihn sagen mochte, er würde doch niemals…
Oder etwa doch? War die Welt anders bestellt, als sie es bisher geahnt hatte? War sie ein naives, blauäugiges Hühnchen, wie Christian so gerne behauptete?
Das Abendrot war nur noch ein schwacher, orangefarbiger Schein, der langsam erlosch; bleiernes Grau breitete sich am Himmel aus und ließ den dichten Wald aus Akazien und Mammutbäumen hinter dem Ort dunkel erscheinen. Es blieb nicht mehr viel Zeit.
Sie musste um die Mauer herumgehen, um zu dem hölzernen Gatter zu gelangen, das die Umfriedung verschloss. Jetzt waren mehrere kleine Feuer zu sehen– flackernde, gelbrote Lichter in der herabsinkenden Dämmerung. Junge Afrikanerinnen hockten am Boden und kochten Mais und Gemüse, sie waren fröhlich, lachten und redeten, die bunten Tücher um ihre Köpfe leuchteten im Feuerschein, Ohrringe und Halsketten blitzten. Als Charlotte das Gatter aufzog, verstummten sie und starrten sie mit ungläubigem Staunen an. Wenn Sarah die Wahrheit gesagt hatte, dann war sie vermutlich die erste weiße Frau, die diesen umfriedeten Raum betrat.
» Jambo«, grüßte sie und bemühte sich, so unbefangen wie möglich zu wirken, wenngleich ihre Hände vor Aufregung zitterten. » Jambo – kocht nur in Ruhe weiter.«
» Was willst du?«
Sie wusste nicht, wer die Frage gestellt hatte. Es war jetzt schon so dämmrig, dass sie die dunklen Gesichter der Frauen kaum unterscheiden konnte, nur das Weiße in ihren Augen leuchtete und die Zähne, wenn sie lachten oder sprachen.
» Ich suche einen weißen Mann. Christian Ohlsen.«
Eine der Frauen erhob sich, zog das Tuch fester, das sie um den Körper gewickelt hatte, und jetzt erst sah Charlotte, dass sie einen winzigen Säugling an der Brust hielt. Sie reichte das Kind einer anderen, klägliches Gewimmer ertönte, doch die Mutter zog unbekümmert einen brennenden Stock aus dem Feuer, um damit eine Petroleumlampe zu entzünden. Sie hielt das Licht in die Höhe und ging auf Charlotte zu.
» Dein Mann?«, fragte sie mit rauer Stimme.
Die Frau war ganz sicher noch keine zwanzig, vermutlich weitaus jünger, obgleich es Charlotte schwerfiel, das Alter der Eingeborenen zu schätzen. Ihre Haut glänzte wie matte Bronze, die breite Nase und die wulstigen Lippen ließen sie in Charlottes Augen nicht gerade schön erscheinen, aber in ihrem Blick lag ein Ausdruck von Verstehen.
» Ja, er ist mein Mann«, gab Charlotte zu. » Ist er… ist er hier?«
Ohne eine Antwort machte die Schwarze kehrt, eilte mit dem Licht auf den Hauseingang zu und öffnete die Tür. Dann sah sie sich nach Charlotte um.
» Er ist hier. Aber du musst viel Kraft haben, bibi.«
Ein unangenehmer Geruch nach Essensresten, Urin und Alkohol schlug ihr entgegen, undeutlich erkannte sie die Umrisse von Holzkisten, einen kaputten Sessel, auf dem Boden lagen Strohmatten. Weiter hinten gab es einen schmalen Flur, von dem zu beiden Seiten mehrere Türen abgingen, einige standen offen, dahinter war es dunkel.
Die Frau ging bis zum Ende des Flures und zog dort eine grobe Brettertür auf. In dem winzigen Raum standen Bretterregale und Säcke, Mäuse huschten davon, als das Licht hineinfiel. Es roch so widerlich, dass sich Charlotte der Magen hob. Christian lag auf dem Rücken, die Arme über der Brust verschränkt. Man hatte seine Knie angewinkelt, um die Tür schließen zu können.
» Will nicht fort. Nur trinken. Wir den Brandy fortnehmen, er holt ihn zurück. Wird böse. Trinkt und trinkt.«
Charlotte starrte schaudernd auf das zusammengekauerte Bündel Mensch. War das wirklich Christian, ihr Ehemann? Sein Haar war zerzaust, die Oberlippe geschwollen, eine eingetrocknete Blutspur verlor sich in den zwei Tage alten Bartstoppeln. Jacke und Hose waren zerrissen und besudelt mit Erbrochenem.
» Nimm ihn mit. Wir dir helfen. Aber jetzt gleich. Schnell. Bevor andere Männer kommen…«
Er öffnete nicht einmal die Augen, als sie ihn aus dem Verschlag zerrten, willenlos ließ er geschehen, dass man ihn an den Füßen durch den Flur, in den Vorraum, über die Schwelle zog. Vor dem Gebäude kamen einige der Frauen herbei, um ihnen zu helfen, sie schafften den schlaffen Körper bis zum Gatter, danach kehrten sie zu ihren Feuern zurück und überließen Charlotte alles Weitere.
Voller Abscheu hockte sie sich
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