Himmel über dem Kilimandscharo
der Inderstraße. Schwarze Kinder plantschten in den Pfützen herum, eine Gruppe Sudanesinnen, Frauen der Askari, lief mit bloßen Füßen durch den gelblichen Schlamm, nur zwei Inderinnen in bunten Seidensaris umgingen die Wasserlachen mit großer Vorsicht, um sich nicht Sandalen und Gewänder zu beschmutzen. Schammi kam herunter und verkündete, bibi Klara habe gegessen und getrunken und schlafe jetzt ein wenig, dann hockte er sich neben den Eingang und starrte auf die Vorübergehenden. Er schwieg, aber Charlotte wusste, auf wen er wartete.
Es war nicht mehr möglich, sich gegen die Sorge zu verschließen. Nein, er war ganz sicher nicht von einem Löwen angegriffen worden– solche Vorfälle sprachen sich blitzschnell herum, sie hätte es längst erfahren. Wo aber konnte er sein? Er hatte die Einnahmen eines ganzen Tages eingestrichen, und das war nicht wenig gewesen. Ob er am Ende den Küstendampfer genommen hatte? Aber wohin? Zurück in Richtung Europa? Weit würde er nicht kommen, dazu reichte sein Geld nicht.
Ein junger Mann trat in ihren Laden und grüßte sie freundlich in deutscher Sprache. Fast hätte sie ihn nicht erkannt, denn Missionar Peter Siegel trug nicht die helle Leinenjacke, die er in der Missionsstation meist anhatte, sondern einen dunklen Anzug und einen schwarzen Hut.
» Wie schön, dass Sie uns einen Besuch abstatten!«, sagte sie höflich.
Sie ließ Schammi Kaffee kochen und bot Pfarrer Siegel den Sessel an, den er gern akzeptierte. Er sei unterwegs, um einige seiner Gemeindeglieder aufzusuchen, und habe schon so viel Gutes über ihre Tatkraft und den schönen Laden gehört…
Es musste an ihren Kopfschmerzen liegen, dass dieser eigentlich doch liebenswerte Mensch ihr fürchterlich auf die Nerven ging. Siegel war schmal gebaut, hatte trotz seiner Jugend schütteres Haar und trug ein dünnes, braunes Kinnbärtchen. Sein Gesicht zeigte meist ein Lächeln, das Schüchternheit und freundliche Gesinnung signalisierte, doch sie hatte bereits gemerkt, dass er trotz seiner scheinbaren Unsicherheit sehr hartnäckig und zielstrebig war.
Charlotte setzte ihn über Klaras Krankheit ins Bild und entschuldigte ihre Cousine, die nicht in der Lage sei, sich zu ihnen zu gesellen.
» Das tut mir unendlich leid«, sagte Peter Siegel bekümmert. » Ich hätte Ihrer Cousine sehr gern meine Aufwartung gemacht. Muss man sich Sorgen um sie machen? Können wir irgendetwas für sie tun?«
» Vorerst wohl nicht– es scheint ihr heute schon besser zu gehen.«
Der Missionar blickte sinnend auf die blechernen Petroleumlampen, die im Regal aufgereiht standen, und sprach von Gottes Gnade, die gerade in diesem Land so sehr vonnöten sei. Immer noch treibe sich der Aufrührer Mkwawa im Osten herum; zwar habe er seine einstige Macht verloren, denn die Wahehe wagten keinen offenen Widerstand mehr, doch Mkwawa sei ein gefährlicher Mörder, der mit seinen Anhängern aus dem Hinterhalt Überfälle auf deutsche Askari-Truppen unternahm. Charlotte hörte ihm zu und pflichtete ihm höflich bei, insgeheim glaubte sie jedoch nicht, dass dieser Mkwawa so schrecklich gefährlich war. Die Schwarzen, die sie bisher gesehen hatte, waren zwar leider oft betrunken und veranstalteten wüste Prügeleien, doch im Grunde waren sie fröhliche, gutmütige Menschen. Endlich reichte der Missionar Schammi seine leere Kaffeetasse, und Charlotte hoffte, er würde sich verabschieden, doch er zögerte und fragte: » Glauben Sie, es wäre möglich, Ihre Cousine für einen kurzen Augenblick zu sprechen? Ich will auf keinen Fall aufdringlich erscheinen, aber vielleicht könnten Sie sie fragen, ob sie mich empfangen möchte…«
» Aber natürlich…«
Schammi balancierte das Tablett mit dem Kaffeegeschirr nach oben, sie hörten, wie eine Tasse auf der Treppe zerschellte, dann erschien er mit unschuldigem Lächeln wieder im Laden und verkündete, dass bibi Klara sich über einen Besuch sehr freuen würde. Missionar Siegel stülpte sich den schwarzen Hut auf, den er aus Höflichkeit abgenommen hatte, bewegte sich geschickt an den dicht gefüllten Regalen vorbei und folgte Schammi die Stiegen hinauf.
Ein merkwürdiger Mensch, dachte Charlotte. Aber Klara wird es gefallen, dass der Pfarrer so besorgt um sie ist. Der andere, der vor Weihnachten zurück nach Deutschland gereist ist, hat uns nie einen Besuch abgestattet. Sie überlegte kurz, ob sie mit hinaufgehen sollte, da es nach Klaras Vorstellung nicht schicklich war, sich allein mit einem Mann
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