Himmel über dem Kilimandscharo
in der Wohnung aufzuhalten, aber erstens war Peter Siegel ein Geistlicher, und zweitens trieb sich auch Schammi dort oben herum.
Es mochten kaum zwanzig Minuten vergangen sein, da tauchte der Missionar wieder auf, dieses Mal erschien er ihr nachdenklich, fast ein wenig bekümmert. Er verabschiedete sich mit einem langen Händedruck und wünschte ihr von ganzem Herzen Gottes Segen, vor allem für ihre Cousine Klara, die eine so vortreffliche junge Frau sei und nur rasch gesunden möge. Dann trat er hinaus in den wieder einsetzenden Regen und lief mit nach vorne gezogenen Schultern davon.
» Bwana Christian hat uns vergessen«, stellte Schammi unvermittelt fest. » Ist fortgelaufen und kommt nicht wieder. Wir ohne ihn leben.«
» Schwatz keinen solchen Blödsinn!«, fuhr Charlotte ihn an. » Geh zu Schmidts Brauerei und frag nach ihm. Hör dich ein wenig um. Hast du mich verstanden?«
» Ja, bibi Charlotte.«
Schon nach kurzer Zeit kam er zurück und breitete hilflos die Arme aus.
» Bwana Christian nicht da. Trinkt nicht pombe. Heute nicht. Gestern nicht.«
Es war schon nach fünf. Gegen sechs Uhr wurde es dunkel, die wenige Kundschaft, die jetzt noch zu erwarten war, würde sie auch nicht reich machen. Charlotte trug Schammi auf, den Laden zu schließen und das Schloss vorzuhängen, dann brachte sie die Tageseinnahmen in die Wohnung hinauf, um das Geld in ihrem Versteck aufzubewahren. Es gab nicht nur Löwen nachts in den Straßen, man hörte auch immer wieder von Überfällen und Einbrüchen. Bisher war sie zum Glück davon verschont geblieben, doch man musste vorsichtig sein.
Klaras Gesicht glühte, ihre Temperatur war wieder gestiegen, aber sie behauptete steif und fest, sich gut zu fühlen; sie habe kräftig gegessen und auch viel getrunken. Charlotte zweifelte daran, Klaras Augen waren gerötet und hatten einen seltsamen Glanz, der nur vom Fieber herrühren konnte.
» Ist Christian gekommen?«
Charlotte schüttelte den Kopf. Sie war jetzt machtlos gegenüber all den Schreckensbildern, die an ihr vorüberzogen. War er in die Sümpfe gelaufen? Hatte er sich ins Meer gestürzt? Möglicherweise hatte er Streit gesucht und lag jetzt verletzt in irgendeinem dunklen Winkel. Hilflos, mit blutenden Wunden…
» Wir müssen etwas unternehmen, Charlotte…«
Der Entschluss kostete sie unendlich viel Überwindung. Man würde sie vermutlich belächeln, vielleicht auch abschätzig beäugen. Schau an, der Mann ist ihr davongelaufen. Nun ja, er wird Grund gehabt haben…
» Ich gehe zum Stadthaus. Vielleicht kann die Polizei oder die Schutztruppe uns helfen.«
Sie ließ Schammi bei Klara zurück und hastete durch die aufgeweichten Straßen, machte sich Vorwürfe, so lange gezögert zu haben, womöglich tat im Stadthaus zu dieser Stunde keiner mehr Dienst. Vom Minarett der Moschee waren die lang gezogenen Rufe des Muezzin zu vernehmen, Araber, Inder und schwarze Afrikaner liefen an ihr vorbei, um ihr Abendgebet zu verrichten, und sie wurde eine Weile mit dem Menschenstrom mitgerissen. Als sie die Moschee südlich der Inderstraße hinter sich gelassen hatte, hörte sie, wie jemand laut ihren Namen rief. Es war Sarah William. Ihre Reisebekanntschaft, die trotz Klaras Weigerung, für sie zu nähen, immer wieder in Charlottes Laden einkaufte.
» Ich bin in Eile…«
Sarah stand mitten auf dem Weg zwischen zwei breiten Wasserlachen und hatte zur Begrüßung den zusammengefalteten, grasgrünen Schirm gehoben.
» Falls du deinen Mann suchst, meine Liebe, könnte ich dir einen Wink geben.«
Charlotte erstarrte. Immer noch war die Straße voller Menschen, doch Sarah hatte deutsch gesprochen, eine Sprache, die nur wenige Eingeborene verstanden.
» Schau mich nicht so an, Mädchen. Er ist nicht etwa bei mir. Aber heute Nachmittag besuchte mich ein Bekannter und erzählte mir, dass es Ärger gegeben habe.«
» Ich verstehe nicht, wovon du redest.«
Sarah bohrte die Spitze ihres Schirms in den Matsch und seufzte. Offensichtlich tat sie sich schwer, einem begriffsstutzigen Wesen wie Charlotte solch einfache Dinge zu erklären.
» Hör zu, meine Liebe«, sagte sie schließlich. » Wir sind schließlich Reisegefährtinnen und müssen uns beide allein durchschlagen. Ich werde dir also das Haus zeigen. Aber hineingehen will ich auf keinen Fall, das würde meinem Ruf schaden, verstehst du?«
Charlotte nickte, obgleich sie gar nichts verstand. Doch eine böse Ahnung sagte ihr, dass sie Dinge sehen und erfahren würde, die
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