Himmel über dem Kilimandscharo
lagen meist miteinander im Streit, was ein kluger Händler, der nicht Leib und Leben riskieren wollte, stets zu bedenken hatte…
» Dort oben auf dem Schneegipfel zu stehen, muss etwas Großartiges sein«, sagte Christian in ihre Gedanken hinein.
Er hustete, trank gierig einige Schlucke Wasser und ließ sich zurück auf sein Lager fallen. Er hatte heute Chinin eingenommen. Endlich. Es musste ihm sehr schlecht gehen.
» Das kann nur erfahrenen Bergsteigern gelingen«, gab sie zurück. » Ich glaube nicht, dass ich es versuchen möchte.«
» Ich dachte, du hättest Sehnsucht nach dem Ort, an dem sich deine Träume erfüllen.«
» Gewiss…«
Sie musste nach Worten suchen, ihr war wichtig, dass er sie verstand.
» Aber dieser Ort ist nicht oben auf dem Berg, Christian. Auch nicht in den Wolken, die ich als Kind so gern betrachtet habe. Unsere Träume sind wie ein Licht, das uns leuchtet, und auch wenn wir dieses Licht niemals erreichen, so brauchen wir es doch zum Leben.«
Er lag eine Weile still und schien nachzudenken.
» Du meinst, dass ein Mensch ohne Hoffnung nicht leben kann– ist es das?«
» Ja, das ist es, Christian.«
Überrascht vernahm sie sein leises Lachen.
» Da bin ich aber froh! Ich hatte schon gefürchtet, mit dir auf diesen Berg steigen zu müssen!«
Seine Heiterkeit steckte sie an– wie lange war es her, dass sie gemeinsam über ein und dieselbe Sache gelacht hatten? Erst als er wieder husten musste, hörten sie auf zu lachen.
» Du wärst tatsächlich mitgegangen? Bis oben auf den Gipfel?«
» Zweifelst du daran?«
Er drehte sich auf die Seite und legte den angewinkelten linken Arm unter den Kopf, um sie ansehen zu können.
» Deine Träume sind so stark, Charlotte«, murmelte er. » Vielleicht reichen sie ja für uns beide.«
Tiefe Erleichterung erfasste sie. Sie schlief ruhig und erwachte erst von dem lästigen Geschrei des Hahns, der schon Stunden vor Sonnenaufgang zu krähen begann. Die Afrikaner bestanden darauf, das Tier mitzuführen, ganz offensichtlich brauchten sie diese Weckrufe, um sich auf den kommenden Morgen einzustellen. Nach dem vierten oder fünften Hahnenschrei war es ihr unmöglich, wieder einzuschlafen. Ärgerlich über den beharrlichen Ruhestörer, drehte sie sich auf den Rücken und vernahm Christians schwere, viel zu rasche Atemzüge. Der Morgen konnte nicht mehr fern sein, im Zelt war es dämmrig, doch weder der Geruch einer frischen Feuerstelle noch der Duft der afrikanischen Hanfpfeifen drang zu ihr. Vielleicht herrschte nach dem ausgiebigen Mahl und der Feier gestern Abend noch allgemeine Müdigkeit, und sie würden ein wenig später aufbrechen.
Etwas strich außen an der Zeltbahn entlang, eine sachte, kaum hörbare Berührung, die sie nur vernahm, weil all ihre Sinne geschärft waren. Ihr Herz schlug plötzlich rasend schnell, ohne dass sie den Grund dafür benennen konnte. Ein Windstoß? Einer der Mitreisenden aus dem Zelt nebenan, den ein Bedürfnis hinausgetrieben hatte? Oder Humadi, der sich anschickte, ihnen den Morgentee…
Ein kratzendes Geräusch dicht neben ihr ließ sie erstarren. Das war kein Mensch– irgendein Tier machte sich an ihrem Zelt zu schaffen, scharrte, schnaufte, wollte unter die mit Stricken festgespannte Plane gelangen. Ein fremder, stechender Geruch drang ihr in die Nase. Die Ausdünstung eines wilden Tiers. Entsetzt sprang Charlotte von ihrem Schlafplatz auf.
» Christian!«, flüsterte sie. » Christian– da ist etwas neben dem Zelt…«
Er rührte sich nicht, schlief tief und fest, als wäre er betäubt. Erst als sie ihn heftig an der Schulter rüttelte, schlug er die Augen auf.
» Was… was ist?«
» Da!«
Eine mächtige, gelbe Pranke schob sich unter der Plane hindurch, angelte mit halb ausgestreckten Krallen wie spielerisch nach den gekreuzten Holzbeinen des Feldbetts und verfing sich dabei in einem Zipfel des Leinentuchs, mit dem Charlotte sich zugedeckt hatte. Dann knallten urplötzlich mehrere Schüsse, die Pfote verschwand und riss das Laken mit sich fort.
» Simba! Simba!«, brüllte eine Stimme, die keinem Araber, aber auch keinem Afrikaner gehören konnte.
Im gleichen Moment erwachte das Lager zum Leben. Wildes Geschrei ertönte, nebenan verlangte Dr. Meyerwald aufgeregt nach seinem Gewehr, Schüsse peitschten. Männer brüllten, Knüppel sausten durch die Luft, ein Pfeil drang durch die Zeltplane und traf die blecherne Petroleumlampe.
» Der verdammte Neger hat geschlafen und das Feuer ausgehen
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