Himmel über dem Kilimandscharo
Sie die gleichmäßige Kegelform…«
» Er scheint so nah, als könne man ihn berühren«, murmelte Dobner, der vollkommen verzaubert dastand. » Was für eine Anziehungskraft. Man möchte immer weitergehen, jedes Hindernis meistern, sogar dem Tod entgegenblicken, um nur dorthin zu gelangen.«
Charlotte erschauerte. Sie kannte diese Worte, hatte sie mit heißen Wangen gelesen, sich hineingesteigert, und doch begriff sie ihren wahren Sinn erst in diesem Augenblick.
» Als wäre dort oben, wo die Eisfelder das dunkle Himmelsblau berühren, ein Ort, an dem sich alle Wünsche, alle Hoffnungen erfüllten…«, flüsterte sie.
» Der Ort, an dem das Glück wohnt. Meinst du das?«
Sie spürte Christians Hand, die sich auf ihre Schulter legte, vorsichtig und sehr leicht, als habe er Sorge, sie zu erschrecken. Sie wehrte sich nicht. Er war diesen gefahrvollen Weg mit ihr gegangen, stand jetzt neben ihr und empfand das Gleiche wie sie. Weshalb sollte sie ihm nicht vergeben? Er liebte sie.
Auch einige der Träger und ihre Begleiter waren bei der unerwarteten Erscheinung stehen geblieben. Manche, die unter den schweren Bürden kaum den Kopf heben konnten, hatten ihre Last abgestellt, um besser sehen zu können, andere gingen gleichmütig weiter, so dass die Karawane in Unordnung geriet. Man hörte die zornigen Rufe der Araber, die Trommeln setzten wieder ein, und die Karawanenführer mühten sich, ihre Leute in Bewegung zu bringen.
» Evollah! Evollah!«
Schweigend ging Christian neben Charlotte her, beide sahen immer wieder hinüber zu dem mächtigen Bergmassiv, als stünde zu befürchten, dass ein böser Zauber es wieder hinter dem Schleier verbergen könne. Umso redseliger war Dr. Meyerwald: Ein Deutscher aus Leipzig sei es gewesen, der den höchsten der drei Gipfel, den Kibo, im Jahr 1889 gestürmt habe. Hans Meyer heiße der Mann, und er selbst habe ihn vor drei Jahren auf den Kanarischen Inseln angetroffen und außerordentlich interessante Gespräche mit ihm geführt. So habe ein Negerhäuptling der Matschambe seinen Leuten einmal befohlen, auf den » Berg des bösen Geistes« hinaufzusteigen, um ihm etwas von dem glitzernden, weißen Silber zu bringen, das auf dem Gipfel verstreut läge. Nur wenige der naiven Burschen kamen von dort zurück; sie hatten Hände und Füße erfroren und berichteten, der böse Geist des Berges habe alle anderen getötet.
Klein-Arusha erwies sich als die übliche Ansiedlung eines Eingeborenenstammes, strohgedeckte Lehmhütten standen im Kreis um einen Dorfplatz, dessen Zentrum ein mächtiger Affenbrotbaum bildete. Eine Gruppe junger Krieger, ganz ähnlich geschmückt wie die Massai, lief der Karawane entgegen, und wieder einmal mussten die Warenballen geöffnet, die Tributzahlungen geleistet werden. Anschließend brachten die schwarzen Einwohner Bananen, Hühnereier, Erdnüsse und Bohnen, die sie den wanjampara zum Tausch gegen weitere Geschenke anboten. Wie üblich erwarben die Araber eine große Menge an Lebensmitteln, die am Abend an die schwarzen Träger und ihre Begleiter, vor allem aber an die vier Deutschen weiterverkauft wurden.
Seit einigen Tagen schon schleppten sie auch hölzerne Zeltpfosten mit, denn in der Njika-Savanne war nur Gestrüpp zu finden, es bereitete schon Mühe, das nötige Feuerholz aufzutreiben. In den Nächten wurde das Lager stets mit einem Zaun aus dornigem Gebüsch gesichert, man ließ die Feuer brennen und stellte eine Wache auf. Charlotte, die zuerst geglaubt hatte, diese Vorkehrungen erfolgten wegen der aufdringlichen Massai-Krieger, wurde bald eines Besseren belehrt. In der Abenddämmerung fanden sich viele Tiere am Flussufer ein; sie hatten Gnus und Impalas gesehen, einmal auch Büffel und vor allem Zebras. Doch die Dämmerung war auch die Zeit der Jäger. Durch das Sirren der Zikaden hindurch war immer wieder das ferne, manchmal auch erschreckend nahe Brüllen der Löwen zu vernehmen und hin und wieder der lang gezogene Todesschrei ihrer Beute. Die Herren der Savanne waren unterwegs, um sich die Mägen zu füllen– wer immer am Fluss seinen Durst stillte, der tat es unter Einsatz seines Lebens.
An diesem Abend war Dr. Meyerwald gemeinsam mit zwei Arabern und einigen Afrikanern flussabwärts gegangen, und nach einer Weile hörte man das trockene, harte Knallen ihrer Gewehre. Jubel verbreitete sich unter den schwarzen Trägern, es würde Fleisch geben, der bwana, der die Schmetterlinge fing, hatte Jagdglück gehabt. Tatsächlich schleppten die
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