Himmel über dem Kilimandscharo
ein Höcker vorwölbte.
» Giraffen!«
Christian blieb ebenfalls stehen, kniff die Augen zusammen und beschirmte sie mit der Hand.
» Es sind drei oder vier…«, rief sie. » Nein, warte. Mindestens fünf. Ich glaube, sie haben eine ganz kleine dabei…«
Unwillkürlich hatte sie in ihrer Begeisterung den altgewohnten, vertrauten Ton wieder angeschlagen, den es seit Wochen zwischen ihnen nicht mehr gegeben hatte.
» Jetzt sehe ich sie auch«, sagte er aufgeregt. » Es sind anmutige Tiere.«
» Sind sie nicht wunderschön? Sie wiegen sich vor und zurück, wenn sie gehen, als würden sie nach einem langsamen Tanzrhythmus dahinschreiten.«
» Du liebst dieses Land, nicht wahr?«, fragte er leise und sah sie lächelnd an. » Aber man muss sehr stark sein, um es lieben zu können.«
Zärtlichkeit und Trauer lagen in seinem Lächeln, es rührte sie, und sie wollte ihm soeben eine freundliche Antwort geben, als vor ihnen der warnende Ruf » Mgogoro!« erklang, der ein Hindernis auf dem Pfad ankündigte. Die Karawane staute sich, weiter vorne ertönten Axtschläge, vermutlich musste ein umgestürzter Stamm zerkleinert und aus dem Weg geräumt werden.
Die Unterbrechung zerriss die vertraute Stimmung, und Charlotte begriff erschrocken, dass sie auf dem besten Wege war, alles Gewesene zu vergessen. Hatte Klara vielleicht doch recht? Konnte man einem Menschen vergeben, der so abscheuliche Dinge getan hatte? War sie grausam und ungerecht, wenn sie die Scheidung von Christian forderte?
Während sie dem Geräusch des berstenden und splitternden Holzes lauschten, das anzeigte, dass das mgogoro aus dem Weg geräumt wurde, schwatzte Dr. Meyerwald hinter ihnen über die wirtschaftliche Bedeutung der afrikanischen Edelhölzer für das Deutsche Kaiserreich. Immer wieder musste er husten, was seinen Redefluss jedoch nur wenig unterbrach.
Charlotte bemerkte, dass Christian neben ihr schauderte.
» Du musst Chinin einnehmen, Christian. Du hattest Fieber heute Nacht«, sagte sie und blickte ihn besorgt an.
» Danke für deine Fürsorge«, gab er ironisch zurück. » Wenn es nötig sein sollte, werde ich deinen Rat befolgen.«
Drei Tage später näherte sich die Karawane dem Ort Klein-Arusha. Seit dem Morgen verhüllten Wolkenschleier den Himmel, ohne die flirrende Hitze mindern zu können, welche die Kehlen ausdörrte und an den Kräften zehrte. Sogar der Uferbewuchs des Pangani, der hier Rufu genannte wurde, war spärlich geworden, die wenigen Büsche von umherziehenden Gnus und Antilopen zernagt, das Gras an vielen Stellen von größeren Tieren niedergetreten. Rötliche Staubwirbel erhoben sich hier und da auf dem ausgetretenen Pfad wie tanzende sheitani, irrten zwischen den schwarzen Trägern umher und verloren sich im Gestrüpp. Gelbgrau breitete sich die Njika-Savanne zu beiden Seiten des Flusses in schierer Unendlichkeit aus, nur vereinzelt war ein wenig blassgrünes Buschwerk zu erkennen, eine dunkle Schirmakazie, die ihre Zweige wie schützende Hände über das trockene Gras breitete, eine graugrüne Insel im Boden an einer Stelle, wo sich noch ein wenig Feuchtigkeit gehalten hatte. Bleichende Knochen lagen umher, starrten sie gleichmütig aus leeren Augenhöhlen an– Überreste der einstmals großen Herden der Massai, die vor Jahren der Rinderpest zum Opfer gefallen waren.
Gegen Mittag, als sie in einer Flussbiegung haltmachten, um eine Rast einzulegen, geschah das Wunder. Der weißliche Dunst riss auseinander, und vor dem tiefblauen Himmel zeigte sich der gewaltige Berg gleich einer Geistererscheinung.
Was war die kleine Zeichnung ihrer Kindheit gegen die Magie dieses Augenblicks! Nichts, nicht einmal ein Abglanz. Es schien, als habe jemand einen Vorhang zurückgeschoben, um ihnen Einblick in eine überirdische Götterwelt zu gewähren. Riesig schwebte das Bergmassiv über der Savanne, erhob sich dunkel aus den Resten des Wolkendunstes, stieg als ein mächtiger Kegel in den Himmel empor, von weißen Schnee- und Eisfeldern gekrönt, die sich über die Felshänge hinunterzogen und in schmalen, glänzenden Linien ausfaserten.
» Beeindruckend«, murmelte Dr. Meyerwald, der, ebenso wie Dobner, wieder genesen war und seine Kenntnisse mit gewohntem Eifer über seine Mitreisenden ausschüttete. » Jetzt begreift man, weshalb die ersten Berichte über den Kilimandscharo als Hirngespinste abgetan wurden. Wo sollte mitten in der Savanne ein alpines Massiv wie dieses herkommen? Ohne Zweifel vulkanischen Ursprungs, beachten
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