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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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sonst werden ganz nass!«, rief der kleine boy besorgt, als er sah, dass Charlotte auf den Weg hinausgehen wollte. Doch sie lehnte das Angebot freundlich ab. Es machte ihr nichts aus, vom Regen durchweicht zu werden, im Gegenteil, sie sehnte sich danach, die Nässe bis auf die Haut zu spüren. Es passte zu ihrer Stimmung.
    Monatelang hatte sie für ihren kleinen Laden gekämpft, hatte trotz schlechter Umsätze Schutzgelder gezahlt aus Furcht, noch einmal überfallen zu werden. Auf das Angebot der beiden Inder, ihr Geld zu leihen, war sie jedoch nicht eingegangen. Seitdem lief das Geschäft immer schlechter. Kunden, die früher regelmäßig bei ihr kauften, mit denen sie geschwatzt und Scherze gemacht hatte, mieden ihren Laden– warum auch immer. Nur Klaras Nähkünste hielten sie noch über Wasser, und Charlotte hatte sich selbst an die Maschine gesetzt, um die Cousine zu unterstützen. Es war eine mühsame Plackerei, die Näherei lag ihr überhaupt nicht, sie war viel zu ungeduldig, ihre Nähte waren schief, und zu allem Überfluss stach sie sich in den Finger.
    Der Wind wehte böig vom Meer herüber und trug die letzten Regentropfen ins Landesinnere, während der Himmel über der Bucht schon aufriss. Charlottes helles Kleid war am Rücken dunkel vor Nässe, den Strohhut musste sie mit beiden Händen festhalten, sonst wäre er ihr vom Kopf gerissen worden. Sie überlegte, ob sie am Postamt vorbeigehen und dort warten sollte– heute Morgen war ein Dampfer aus Hamburg in die Hafenbucht eingefahren. Auf der anderen Seite– worauf sollte sie eigentlich hoffen? Ihr Brief nach Leer, in dem sie Paul freundlich daran erinnert hatte, ihr den geliehenen Teil ihrer Mitgift zurückzuzahlen, würde völlig umsonst gewesen sein. Sie glaubte kaum, dass Frau von Liebert ihr Anliegen unterstützte – die adelige Dame war der Ansicht, dass eine Frau kein Geschäft führen, sondern heiraten sollte. Damit war ihre letzte Hoffnung, den kleinen Laden doch noch zu retten, endgültig dahin. Ein deutscher Geschäftsmann würde Grund und Boden erwerben, das marode Gebäude abreißen und etwas Eigenes aufbauen.
    Ihr Brief nach Leer war vor über drei Monaten abgegangen, bisher war keine Antwort eingetroffen. Vielleicht hätte sie an die Großmutter statt an Paul schreiben sollen, gewiss bewahrte die alte Dame das Schriftstück, das der Großvater damals aufgesetzt hatte, noch irgendwo auf. Aber wozu? Sie hätte nur Unfrieden in die Familie getragen, und letztlich konnte ihr dieses Geld– falls sie es denn überhaupt erhielt– auch nicht mehr helfen.
    Sie hatte keine Lust, durch das deutsche Viertel zu laufen, und wählte lieber einen schmalen Pfad, der die Kokosplantagen der Protestantischen Mission durchquerte und zum Strand hinunterführte. Der Wind war nun schwächer, fuhr nur noch hin und wieder in die tropfenden Palmwedel. Das Buschwerk zwischen den Stämmen der Kokospalmen war kräftig aufgeschossen und würde den Missionaren gewiss viel Arbeit bereiten. Wie fruchtbar dieses Land war, wie köstlich der Duft der feuchten Erde, der sprießenden Pflanzen und Blüten– wenn es irgendwo auf der Welt einen Ort gab, der Eden hieß, dann musste er hier sein.
    Der Blick auf die weite Bucht war jetzt frei, die Luft wieder klar, und die Sonne ließ das Wasser hellblau schimmern, als wäre es aus lichtem Aquamarin. Der Reichspostdampfer ankerte in der Nähe des Landungsstegs, umgeben von zahlreichen Ruderbooten und kleinen Seglern. Jetzt, da das Wetter günstig war, begann man damit, Kisten und größere Pakete auszuladen und zum Steg hinüberzurudern.
    Charlotte hatte keine Eile, schlenderte gemächlich den Pfad oberhalb der Abbruchkante entlang, stieg über Wurzeln und durchwatete sumpfige Stellen, wobei Schuhe und Strümpfe endgültig nass wurden. Es war ihr gleich. Eine Stellung in der deutschen Kolonialverwaltung, vielleicht sogar bei der Post– warum nicht? Sie würde mit dieser stupiden Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen, und Klara konnte endlich heiraten. Vielleicht würde sie die Nähmaschine einpacken und Aufträge annehmen, Sarah William war immer noch eine treue Kundin, auch für andere Leute konnte sie nähen und auf diese Weise ein wenig Geld zusammensparen. In einigen Jahren würde sie dann vielleicht wieder einen Laden mieten und Waren kaufen können. Nicht hier in Daressalam, besser in Tanga oder in Pangani, vielleicht auch irgendwo im Inland.
    Sie suchte sich eine günstige Stelle und kletterte die Abbruchkante

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