Himmel über dem Kilimandscharo
Inderstraße Fuß fasst«, versuchte es Charlotte aufs Neue. » Ich habe momentan nicht das Geld, um dieses Haus zu kaufen, aber ich könnte eine Anzahlung leisten und den Rest in monatlichen Zahlungen abtragen. Wenn Sie ein Wort für mich einlegen würden…«
» Ich bin mit der Sache nicht vertraut, Frau Ohlsen. Nur könnte ich mir vorstellen, dass es noch andere deutsche Geschäftsleute gibt, die ebenfalls Interesse haben…«
» Es geht um meine Existenz, Frau von Liebert.«
Es donnerte so heftig, dass beide Frauen unwillkürlich zu dem goldenen Lüster hinaufsahen, der zu erzittern schien. Der nachmittägliche Gewitterregen rauschte nieder, einzelne Tropfen drangen durch die Lamellen der Klappläden und rannen am Holz herab auf den Fenstersims. Frau von Liebert beugte sich vor, um Tee nachzuschenken, dann nahm sie sich eine Marzipanpraline und kaute sie langsam, offenbar versunken in Erinnerungen an das weihnachtliche Deutschland, an Schlittenpartien, Eislaufen und den geschmückten Tannenbaum. Hier in Daressalam würde die Regenzeit bald enden, die ersten Monate des Jahres waren heiß und feucht, die Zeit der Fiebermücken und Tropenkrankheiten.
» Darf ich ehrlich sein, liebe Frau Ohlsen? Es will mir nicht in den Kopf, dass eine hübsche, junge Frau wie Sie, die noch dazu mit derart hervorragenden musikalischen Fähigkeiten ausgestattet ist– nein, widersprechen Sie mir nicht, Ihr Klavierspiel ist etwas ganz Besonderes, ich habe dafür ein Ohr–, dass eine junge Deutsche wie Sie unbedingt einen Laden in der Inderstraße führen will. Ist es denn nicht die höchste Bestimmung des weiblichen Geschlechts, Ehefrau und Mutter zu sein? Liebe Frau Ohlsen– schauen Sie sich doch um: Hier gibt es überall tüchtige und fleißige deutsche Männer, die glücklich wären, eine Frau an ihrer Seite zu haben.«
Das hatte sie kommen sehen. Seit Wochen luden die deutschen Frauen sie auf Geburtstagsfeste ein, ließen sie Klavier spielen, arrangierten Weihnachtsfeiern, man hatte ihr sogar eine geringfügige Anstellung bei der deutschen Reichspost angeboten.
» Ich habe nicht vor, gleich wieder zu heiraten, Frau von Liebert!«
» Aber natürlich nicht sofort!«, rief die Gouverneursgattin und fasste mitfühlend Charlottes Hand. » Ich weiß ja, auf welch tragische Weise Sie Ihren Mann verloren haben. Indes– wenn die Lage es erfordert, so denke ich, dass wir auch einmal über althergebrachte Bräuche hinwegsehen können. Niemand würde Anstoß daran nehmen, wenn Sie sich noch vor Ende des Trauerjahres wieder verehelichen würden.«
Charlotte versuchte noch einmal, auf ihr Anliegen hinzuweisen. Sie wollte das Grundstück mitsamt dem Haus kaufen, den Kaufpreis monatlich abbezahlen, auch wenn sie insgeheim die üblen Machenschaften der Schutzgelderpresser fürchtete…
Frau von Liebert, die ihre Entschlossenheit spürte, nickte verständnisvoll und bemerkte, sie wolle mit ihrem Mann darüber sprechen. Wenn sich die Gelegenheit dazu ergäbe– er sei momentan sehr beschäftigt. Am kommenden Sonntag würden sie einen neu angekommenen jungen Offizier mit einer kleinen Feier begrüßen. Ob sie Zeit habe, ein paar Stücke auf dem Klavier zu spielen? Einige der Herren kämen mit ihren Ehefrauen, und vielleicht ergäbe sich die Möglichkeit zu tanzen…
» Selbstverständlich bin ich bereit, Ihnen ein kleines Entgelt für die Mühe…«
» Ganz lieben Dank«, unterbrach Charlotte. » Aber ich spiele allein aus Freude an der Musik.«
» Eine Freude, die Sie an uns alle weitergeben, liebe Frau Ohlsen. Ich wünsche Ihnen wirklich, dass sich recht bald eine Lösung für all Ihre Sorgen findet. «
Der letzte Satz war das Zeichen dafür, dass sie sich jetzt zu verabschieden hatte, die Gouverneursgattin hatte noch andere Pflichten, und außerdem schien der Regen bereits nachzulassen. Als Charlotte durch das Portal in den weiß gestrichenen Arkadengang des Gouverneurspalastes trat, atmete sie tief durch. Im Palast roch es muffig wie in den meisten Häusern während der Regenzeit, da sich die Feuchtigkeit in Wänden und Stoffen festsetzte. Hier draußen aber duftete es nach den blühenden Akazien und Tamarinden. Die Grünanlagen, die man um den Palast herum geschaffen hatte, waren während der Regenzeit üppig gewachsen, in dem dunklen, großblättrigen Buschwerk leuchteten zartgelbe Blüten, in den Töpfen längs der steinernen Beeteinfassung reckten Agaven ihre grün-weißen fleischigen Blätter.
» Ich bringe Regenschirm, Sie
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