Himmel über dem Kilimandscharo
standen sie eine Weile schweigend und lauschten auf die Geräusche der Nacht. Es hatte geregnet, Wasser tropfte von Dach und Blattwerk und versickerte im Erdboden. Ein Nachtvogel rief mit melodischer Stimme und fand Antwort irgendwo draußen in den Kokosplantagen, ein kleines Wesen bewegte sich knisternd im Gras, vielleicht eine Schlange, die der Regen aus ihrem Versteck vertrieben hatte. In der Ferne hörte man das Schlagen und Zischen der Wellen, den immerwährenden Rhythmus des Ozeans, der sich der Anziehung des Mondes ergab.
Max strich ihr über die Wange, und ihre Anspannung war so groß, dass die leise Berührung sie erzittern ließ.
» Hör zu, mein Liebes«, sagte er zärtlich. » Ich weiß, wie schwer es für dich war, so rasch wieder zu heiraten. Ich habe dich mit meiner Ungeduld überrumpelt, weil ich es nicht abwarten konnte, dich zu meiner Frau zu machen. Jetzt aber will ich dich nicht bedrängen. Du sollst alle Zeit der Welt haben, dich an die neue Situation zu gewöhnen. Und an mich.«
Sie schwieg verblüfft, eine solche Rücksichtnahme hatte sie nicht erwartet. Sollte sie ihm sagen, dass das unnötig war? Was würde er dann von ihr denken? Dass sie eine schlechte Ehefrau gewesen war, die ihren Mann schon wenige Monate nach seinem Tod vergessen hatte?
» Aber ich…«
Jetzt wagte er, den Arm um ihre Schultern zu legen, eine sanfte, freundschaftliche Berührung, der Arm eines Beschützers.
» Sag nichts, Charlotte«, unterbrach er sie. » In gut drei Wochen sind wir auf meiner Plantage, und wenn du dann für mich bereit bist, werde ich sehr glücklich sein.«
Wie großherzig er war. Sie brachte es nicht fertig, ihm zu widersprechen.
» Ich danke dir.«
» Ich übernachte im Vorraum«, verkündete er. » Schlaf gut, mein Engel…«
Er zog sie in seine Arme und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. Nicht mehr. Dann ging er eilig zurück ins Haus, um sich im Vorraum auf zwei Stühlen ein notdürftiges Lager zu errichten.
Der Abschied von Klara war das Schwerste, denn es war so gut wie sicher, dass sie sich lange Zeit nicht wiedersehen würden. Peter Siegel wollte vorerst in Daressalam bleiben, es war jedoch auch möglich, dass die Berliner Mission ihn an einen anderen Ort berief, und da er ein gehorsamer und eifriger Gesandter des evangelischen Glaubens war, würde er sich einer solchen Order gewiss nicht widersetzen.
» Vielleicht schicken sie Peter ja nach Moshi oder nach Arusha– das wäre wundervoll, Charlotte«, seufzte Klara.
Ihre Cousine war sehr blass, und Charlotte fragte sich mit leiser Sorge, wie sie diese Hochzeitsnacht erlebt haben mochte, doch in der Hektik des Aufbruchs war es unmöglich, sie danach zu fragen.
» Ja, gewiss. Warten wir ab, was geschieht.«
Sie verschwieg Klara das Schicksal der beiden unglücklichen Geistlichen, die von den Dschagga getötet worden waren. Peter Siegel hatte sicher davon gehört, einen Ruf nach Moshi würde er vermutlich nicht gerade als Glücksfall ansehen, obgleich er ihm die Chance bot, zum Märtyrer des evangelischen Glaubens zu werden. Vorerst focht er einen harten Kampf um Schammi aus, den er in seiner Obhut am Immanuelskap behalten wollte. Noch am Morgen der Abreise machte er mit dem Jungen einen Spaziergang durch die Kokospflanzungen, erinnerte ihn daran, dass er ein Christ hatte werden wollen, dass er lesen und schreiben lernen musste und dass er seine bibi Klara nicht verlassen durfte. Schammi hörte ihn schweigend an, dann lief er ins Missionsgebäude zu Klara und verabschiedete sich weinend von ihr. Er liebte bibi Klara über alles, vielleicht sogar ein klein wenig mehr als bibi Charlotte, die einmal fortgegangen, aber dennoch wiedergekommen war. Doch sein Herz gehörte bwana Roden, der war ein großer bwana, ein guter bwana, ihm wollte er folgen.
Max wählte die Strecke mit Bedacht, denn es war keine gute Zeit zum Reisen. Die Regenzeit an der Küste näherte sich ihrem Ende, im Inland hatten die Niederschläge schon früher aufgehört, doch es waren Sümpfe und reißende Gewässer entstanden, die an vielen Stellen Umwege erforderlich machten. Er hatte auf dem Hinweg einige Maultiere mit nach Daressalam gebracht, die die Mückenplage bisher erstaunlich gut überstanden hatten, eines davon stand Charlotte als Reittier zur Verfügung, die übrigen wurden als Lasttiere für Zelte und Lebensmittel genutzt. Etwa dreißig schwarze Träger beförderten den Pulper für die Kaffeefrüchte und zwei weitere Geräte, die der
Weitere Kostenlose Bücher