Himmel über dem Kilimandscharo
verführen. Es schickte sich nicht für eine Frau, es war peinlich und ungehörig. Eine Frau durfte sich hübsch machen, lächeln, unverfänglich plaudern, und falls der Gesprächspartner ihr Komplimente machte, musste sie sittsam den Blick senken. Auf keinen Fall aber das Haar lösen und zwischen den offenen Locken mit dunklen, goldglänzenden Augen zu ihm hinübersehen. Aber weshalb sollte sie das nicht tun? Schließlich war er seit einigen Tagen ihr Ehemann.
Er fuhr sich mit der Hand über das unrasierte Gesicht und zog den Hut ein wenig tiefer in die Stirn. Dennoch gelang es ihm nicht, in eine andere Richtung zu schauen. Er verfolgte weiterhin ihr Tun, beugte sich sogar vor, um ihr eine verirrte Haarnadel zu reichen, und seine Miene dabei war mehr als angespannt. Als ihre Finger sich für einen kleinen Augenblick berührten, zuckten beide zusammen.
» Wenn wir in die Berge kommen, werde ich dir die Thornton-Fälle bei Gonja zeigen«, murmelte er. » Das wird dir gefallen. Du… liebst Wasserfälle, nicht wahr?«
Im Usambara-Gebirge hatte sie ihn gebeten, doch näher zu einem der prächtigen Katarakte zu reiten, aber er hatte gemeint, es bringe sie zu sehr von der Strecke ab.
» Ich finde sie wunderschön«, gestand sie. » Dieses wilde Tosen, die Gewalt des herabstürzenden Wassers. Und wenn die Sonne daraufscheint, sieht man einen Regenbogen.«
Sie flocht das Haar in aller Ruhe zu einem lockeren Zopf, wickelte ein Band um das Zopfende und steckte die Haarnadeln in ihre Rocktasche.
» Lass uns schlafen gehen«, entschied sie und reckte sich.
Auch diese Bewegung entging ihm nicht, und im schwachen Feuerschein konnte sie erkennen, dass er schmerzlich die Augen zusammenkniff.
» Glaubst du, dass wir hier sicher sind? Kann ich mich auskleiden und ein Nachthemd…«
» Gute Nacht!«, sagte er heiser und stürzte so eilig in sein Zelt, dass er fast den Stützpfosten umgerissen hätte.
Enttäuscht streckte sie sich auf ihrem einsamen Lager aus. Er war einer, der zu seinem Wort stand. Weshalb sollte sie ihm das übel nehmen, wo es ihr im Grunde sogar gefiel? Überhaupt war es angenehm, mit ihm zu reisen; sie fühlte sich sicher in seiner Gegenwart, konnte darauf vertrauen, dass er das Richtige tat. In den Nächten wurde das Lager stets von zwei Eingeborenen bewacht, vor allem wegen der Löwen und Geparden, die es auf die Maultiere abgesehen hatten. Die Wächter wechselten nach einigen Stunden, und da sie nur schlecht schlafen konnte, hatte sie festgestellt, dass Max hin und wieder aufstand, um die Wachen zu kontrollieren. Vermutlich erging es ihm ebenso wie ihr.
Die Natur war überwältigend schön. Nichts erinnerte mehr an die trostlose, graue Steppe der Trockenperiode, als die Hitze über der ausgedörrten Landschaft flimmerte und die Augen der Reisenden vom rötlichen Staub entzündet waren. Die Steppe jenseits des Pangani-Flusses hatte sich in ein gelbes Blütenmeer verwandelt, in dem Inseln aus dichtem Buschwerk schwammen, die Zweige der Akazien– einst filigrane Scherenschnitte vor dem taubenblauen Himmel– waren jetzt mit grünem Laub und weißen Blüten bedeckt. An vielen Stellen waren flache Seen entstanden, Tümpel, in denen graue Reiher, Marabus und Störche nach Beute stocherten. Einmal erblickten sie eine Schar Flamingos. Aus der Ferne sahen die Vögel aus wie eine zartrosa Wolke, die sich im Gras ausgebreitet hatte.
» Da gibt es jetzt Jagdwild in Massen«, stellte Max mit leichtem Bedauern fest. » Ein Fest für die Raubtiere, aber auch die müssen ihre Jungen füttern und überleben.«
» Du würdest wohl gern auf die Jagd gehen?«
Er musterte eine Herde schlanker, hellbrauner Impalas, die unweit eines kleinen Wäldchens grasten. Hyänen hielten sich in der Nähe auf, und sie vernahmen ihre seltsamen Rufe, die wie menschliches Gelächter klangen. Als die Impalas endlich unruhig wurden und in hohen, fliegenden Sprüngen die Flucht ergriffen, durchquerten sie einen der flachen Tümpel, und das Wasser spritzte unter ihren Hufen in feinen Gischtfontänen auf.
» Ich gebe zu– es juckt mich in den Fingern«, räumte er grinsend ein.
Der Aufstieg im Pare-Gebirge erwies sich als mühsam. Dichtes Gestrüpp und tief eingegrabene Bachläufe mussten überwunden werden, und Charlotte wurde auf ihrem bockigen Maultier heftig durchgeschüttelt. Nach einer Weile stieg sie ab und ging zu Fuß weiter, das war angenehmer, als jeden Augenblick fürchten zu müssen, aus dem Sattel zu rutschen. Sie bereute
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