Himmel über dem Kilimandscharo
Farm warst, bin ich fast verzweifelt. Ich hätte schreien können, alle möglichen Dinge tun wollen, zu denen ich kein Recht hatte. Ich wollte… Das musst du doch gespürt haben…«
» Was soll ich gespürt haben?«, fragte sie lächelnd.
Es fiel ihm nicht ganz leicht, aber sie wollte es unbedingt hören. Heute war der Tag der Wunder, der Tag, der das Glück in greifbare Nähe rückte, ein gänzlich unverhofftes Glück, mit dem sie nicht mehr gerechnet hatte.
» Dass… dass ich dich wie ein Verrückter liebe!«
Wieso warf sie alle Bedenken über den Haufen? Sie war eine Händlerin– was wollte sie auf einer Plantage? Sie hatte sich über die moralischen Grundsätze der Gouverneursgattin geärgert– nun tat sie genau das, was Frau von Liebert ihr angeraten hatte. Sie hatte den mächtigen Berg mit dem schneeglänzenden Gipfel niemals wiedersehen wollen– nun würde sie an seinem Fuß ihre neue Heimat finden. Es sprach so viel gegen diese Entscheidung, und doch war sie fest davon überzeugt, das Richtige zu tun.
» Ich weiß, dass du deinem Herzen folgst, Charlotte«, hatte Klara gesagt. » Und du tust recht daran. Gott wird euren Bund segnen.«
Charlotte war sich keineswegs sicher, ob es allein ihr Herz war, dem sie folgte. Gewiss, Max von Roden hatte ihr immer schon gefallen, mehr, als sie sich hatte eingestehen wollen. Seine ungenierte Selbstsicherheit und die Fähigkeit, das Leben entschlossen anzupacken. Seine Liebe zur Musik. Vor allem aber seine impulsive Art. Als sie ihm ihr Jawort gab, hatte er mit einem Jubelschrei den Hut in die Luft geworfen. Er hatte sie geküsst, mitten unter den vielen Leuten, die am Hafen herumliefen– eine unfassbar sittenlose Handlung, für die man in Deutschland ins Gefängnis gesperrt werden konnte. Aber gerade deshalb war es wundervoll gewesen, ihr Herz hatte einen Trommelwirbel geschlagen, und sie hatte seinen Kuss erwidert wie ein albernes, junges Ding.
Ja, er hatte ihr Herz gewonnen. Aber da war noch mehr, das sie zum ihm hinzog. Es hatte etwas mit Magie zu tun, glich der Anziehungskraft, die der Berg mit dem fernen Schneegipfel ausübte, eine verwirrende, beängstigende Mischung aus Furcht und Faszination. Max von Roden weckte in ihr die gleiche körperliche Sehnsucht, die auch George in ihr hervorgerufen hatte.
Innerhalb weniger Tage änderte sich ihr Leben von Grund auf. Es war nicht das erste Mal, dass ihr ein solcher Wechsel widerfuhr, dieses Mal aber geschah es atemlos und wie im Rausch. Er hatte es fertiggebracht, dass sie noch in der folgenden Woche heiraten konnten– in der Kolonie sah man leichter über Aufgebot und Fristen hinweg. Am gleichen Tag wurden auch Klara und Peter Siegel getraut– das war Charlottes Wunsch gewesen, dem sich die beiden gern fügten. Es stellte sich heraus, dass Klara ihr eigenes Brautkleid schon vor Monaten genäht und in einer Kiste aufbewahrt hatte, jetzt war sie untröstlich, kein Kleid für Charlotte angefertigt zu haben.
» Ach was– ich nehme dich auch ohne Kleid!«, hatte Max fröhlich ausgerufen, und sowohl Klara als auch Charlotte waren errötet. Die Hochzeitsfeier im Gebäude der evangelischen Mission am Immanuelskap rauschte an Charlotte vorüber wie die Szenen eines Theaterstückes. Der mit Akazienzweigen und Palmwedeln geschmückte Raum. Klara, die versuchte, ihr Humpeln zu verbergen, als sie neben Peter zum Altar schritt, und dabei noch ungeschickter wirkte als sonst. Max, der ihr einen dünnen Goldreif mit einem roten Stein als Ehering an den Finger steckte. Die salbungsvollen Worte des Missionars, der Jubel der schwarzen Eingeborenen, Schammi, der nicht wusste, ob er lachen oder in Tränen ausbrechen sollte und beides abwechselnd tat. Die schönen Stoffe, Stickereien und Haushaltsgegenstände– Geschenke ihrer deutschen Freundinnen. Sarah William, die überraschend auftauchte, grell geschminkt und mit einem ihrer grellen Hüte geschmückt, die innigsten Glückwünsche, die Frau von Liebert durch einen schwarzen boy überbringen ließ…
Als es Nacht wurde, zogen sich Klara und ihr Ehemann in ein kleines Zimmer zurück, das Peter Siegel bisher allein bewohnt hatte. Für Charlotte und Max war ein Gästeraum hergerichtet worden, das Haus in der Inderstraße hatte man inzwischen leer geräumt. Ihre kleine Wohnung, der geliebte Laden, um den sie so gekämpft hatte, gehörten endgültig der Vergangenheit an.
Max legte den Arm um ihre Schultern und zog sie hinaus unter das Vordach des Missionsgebäudes. Dort
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