Himmel über dem Kilimandscharo
einen Menschen zu töten, man benötigte kein Gewehr, keinen Revolver– ein Stoß mit der Lanze, ein Schnitt mit dem Messer genügten. Charlotte war weniger einsichtig als George. Als man sie emporhob und ihre Arme auf den Rücken zwang, schrie sie zornig auf und krümmte sich zusammen. Es half ihr wenig, die Männer fesselten sie, legten ihr zusätzlich eine Schlinge um den Hals und verknüpften sie mit einem Seil, das man um Georges Nacken gebunden hatte.
» Was soll das? Warum tut ihr das?«
Klara redete in heller Verzweiflung auf die Wangindo ein, doch niemand kümmerte sich um ihr Flehen. Die Männer stießen ihre beiden Geiseln voran, andere zogen an dem Seil, das man ihnen um den Hals gelegt hatte, und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu folgen.
Die Krieger schleppten Töpfe, Gewänder und Geschirr mit sich, die sie im Missionsgebäude erbeutet hatten, dazu eine Menge geschlachteter Hühner und Ziegen. Maultier und Esel trieben sie ebenso wie ihre beiden Geiseln vor sich her. Was aus dem Missionarsehepaar und ihrem Kind wurde, schien ihnen gleich zu sein. Auch der verletzte Juma interessierte sie nicht. Sie überließen sie ihrem Schicksal.
» Es kann nicht mehr lange dauern, dann werden die deutschen Schutztruppen hier sein«, rief George Klara zu. » Sie sind schon in Kilwa gelandet. Sie werden euch bald finden…«
Der Wald dämpfte seinen Ruf und ließ seine Stimme matt klingen, doch Charlotte hoffte inständig, dass Klara ihn gehört hatte. Trotz der Lasten bewegten sich die Eingeborenen rasch voran, ganz anders als die schwarzen Karawanenträger, die eher gemächlich dahergingen und sich über jede Rast freuten. Sie liefen auf verschlungenen Pfaden durch lichten Busch und trockene Savannen, nur wenn man auf eines der schmalen Rinnsale stieß, wurde haltgemacht, um zu trinken und die Kalebassen zu füllen. Der Aufbruch nach diesen kurzen Pausen geschah rasch und ohne Rücksicht auf die erschöpften Geiseln, die man mit Stößen und Drohungen zum Weitergehen zwang. Das Sprechen war ihnen verboten, auch die Wangindo unterhielten sich nicht miteinander. Sie gingen nahezu geräuschlos über die ausgedörrte Steppe, setzten die bloßen Füße instinktiv so, dass nicht einmal das trockene Gras raschelte.
Hin und wieder wandte sich George nach Charlotte um, und für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Augen. Halt durch. Wir finden einen Weg. Gib nicht auf. Meist büßte er für seinen Blick mit einem festen Schlag gegen die Schulter, doch er störte sich nicht daran. Charlotte hatte voller Schrecken gesehen, dass er verwundet war; rote Flecken zeigten sich auf seiner hellen Jacke, zwei am rechten Oberarm und einer im Rücken. Er hatte versucht, Matumbe gegen die eindringenden Krieger zu schützen, stammten die Verletzungen daher? Was war aus der jungen Frau geworden? Hatte man sie etwa in dem brennenden Haus zurückgelassen? Ach, wenn sie George doch fragen könnte.
Charlotte war bald so erschöpft, dass sie die Lage als irrwitzig empfand und immer wieder glaubte, gleich aus einem bösen Traum zu erwachen. Unter sengender Sonne stolperten sie inmitten einer Horde bemalter Krieger dahin, gefesselt, wie Vieh mit Stricken aneinandergebunden, immer wieder angetrieben, gestoßen, mit Schlägen bedacht. Zum Glück hatte sie sich zum Schlafen nicht ausgekleidet, war viel zu müde gewesen, doch sie trug keine Schuhe. Ihre Füße waren längst von den trockenen Halmen zerstochen und bluteten, doch sie spürte den Schmerz nur während der kurzen Pausen, wenn sie sich niedersetzte, um ein wenig auszuruhen. Niemand gab ihnen Wasser, sie mussten sich auf den Bauch legen und wie die Tiere aus dem schlammigen Rinnsal trinken.
Gegen Abend führte der Weg bergan, spärlich bewachsene Hügel waren zu erklimmen, staubige Pfade führten in enge, trockene Talsenken. Die Wangindo waren schlanke Menschen, einige hatten erschreckend dünne Beine, doch keiner der Krieger zeigte auch nur einen Anflug von Müdigkeit. Charlotte war völlig erschöpft, sie spürte, dass George, der durch ein Seil mit ihr verbunden war, immer wieder das Tempo verlangsamte, um ihr die Möglichkeit zum Ausruhen zu geben. Doch wenn die Bewacher ihn voranstießen, musste auch Charlotte folgen. Mit letzter Kraft hielt sie sich aufrecht, wollte auf keinen Fall zu Boden sinken, schon um den Schwarzen nicht den Triumph zu gönnen, sie so schwach zu sehen. Aber auch, weil sie nicht wusste, was man in diesem Fall mit ihr anstellen würde. Als
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