Himmel über dem Kilimandscharo
Jetzt, bei Tageslicht, konnte man die Angreifer deutlicher erkennen. Es mochten um die dreißig Männer sein, fast alle jung, in schmutzige Tücher gewickelt, die den Oberkörper freiließen, Tierzähne und Knochenschnitzereien schmückten Nasen und Ohren. Charlotte kannte die Dschagga, die stolzen Massai des Nordens. Doch nie zuvor, nicht einmal während ihrer Gefangenschaft bei den Dschagga, hatte sie solchen Hass gespürt, solche Lust am Zerstören, Niederbrennen, vielleicht auch an Schlimmerem.
Man führte sie ein Stück in den Busch hinein, wo sie Peter bewusstlos am Boden liegend fanden, Klara saß bei ihm und hielt ihr Kind an sich gepresst. Nicht weit von ihnen hockte Juma, verstört, am ganzen Leibe zitternd, aus einer Wunde am Hals rann Blut. Matumbe war nirgendwo zu sehen.
Mehrere junge Krieger bewachten sie mit gezückten Speeren, offensichtlich hatten sie nicht die Absicht, die Bewohner der Mission zu schonen. Dennoch schien keiner von ihnen etwas dagegenzuhaben, dass George sich um die Verletzten bemühte. Peter hatte eine Wunde am Kopf, Blut war ihm über Stirn und Schläfen gelaufen, doch es schien bereits zu trocknen. Klara war offenbar unverletzt, sie weinte leise und antwortete auf keine Frage.
» Wir müssen Juma verbinden…«
Charlotte zögerte, dann begriff sie, dass es kein Verbandszeug gab. Sie setzte sich hin und riss Streifen aus ihrem Unterrock, die George schweigend entgegennahm.
» Ruhig, Juma. Es ist gar nicht schlimm. Heb den Kopf. So machst du es gut. Sehr gut. Es wird bald aufhören zu bluten …«
Drüben loderten weitere Feuer, man konnte den Rauch sehen und hörte die trillernden Jubelrufe der Wangindo-Krieger. Sie hatten jetzt die Nebengebäude in Brand gesteckt, vermutlich würden sie auch den Garten niedertrampeln und die Zäune einreißen. Das kleine Paradies, das Peter und Klara ungefragt in den afrikanischen Busch gesetzt hatten, ging den Weg alles Irdischen. Mungu siegte über Christus am Kreuz, gefräßige Feuergeister verschlangen das Haus des christlichen Gottes.
Peter kam nur langsam zu sich. Abwesend starrte er zu den Rauchschwaden hinüber, als könne er nicht begreifen, woher sie kamen, und bewegte dabei die Lippen.
» Das tun sie nicht… Gott wird das nicht zulassen… Ich habe sie getauft… ich habe ihnen das Evangelium gepredigt…«
Der Säugling begann leise zu schreien, und Charlotte musste trotz der schrecklichen Lage lächeln. Sie wechselte einen Blick mit George und wusste, dass er das Gleiche empfand. Das Kind lebte, sein Herz schlug kräftig, es hatte zum ersten Mal einen Schrei getan. Sie stützte Klara, die Mühe hatte, aufrecht zu sitzen, und blickte fasziniert auf das rote Gesichtchen des Säuglings, den verzerrten Mund, die kleine Faust, die nun zwischen den Tüchern sichtbar wurde.
» Werden sie uns töten, Charlotte?«, flüsterte Klara.
» Ganz sicher nicht.«
» Aber warum haben sie uns das angetan?«
Klara sah zu den jungen Kriegern auf und sagte etwas, das Charlotte nicht verstehen konnte. Unter der Kriegsbemalung war schwer zu erkennen, was die Männer empfanden, doch einer von ihnen löste eine Kalebasse von seinem Gürtel und warf sie neben Klara auf den Boden. Es war Wasser darin. Klara trank durstig einige Züge und wollte die Kalebasse an Charlotte weiterreichen, doch in diesem Augenblick kehrten die übrigen Wangindo-Krieger aus dem Busch zurück. Sie bewegten sich lautlos wie Tiere des Waldes, umringten die am Boden Sitzenden, und Charlotte spürte, wie sie von Panik erfasst wurde. Weshalb hatte man sie bisher noch nicht getötet? Sparte man sie für andere Dinge auf? Es gab diffuse Berichte von grausigen Folterungen und Verstümmelungen, die die Eingeborenenstämme an ihren Gegnern vornahmen. Was sie den Frauen antaten, wurde stets als » schlimmer als der Tod« bezeichnet.
Die Krieger schienen sich nicht einig zu sein. Die Reden gingen hin und her, schwirrten über die Köpfe der Gefangenen hinweg; es wurde wütend und beharrlich über ihr Schicksal gestritten, doch nur Peter und Klara waren in der Lage, einige Worte davon zu verstehen. Charlotte wagte nicht nachzufragen. Plötzlich drangen mehrere junge Krieger auf George ein, fassten ihn unter den Armen und zogen ihn aus der sitzenden Stellung hoch. Dann banden sie ihm die Hände auf den Rücken. Er wehrte sich nur schwach, angesichts der auf ihn gerichteten Speere hätte ihm jeder Widerstand nur schwere Verletzungen oder gar den Tod eingebracht. Es war so einfach,
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