Himmel über dem Kilimandscharo
bewunderten. Das gefiel ihr also– da schau mal einer an!
Gleich darauf stellte er zu seinem Verdruss fest, dass Charlotte und Klara nicht allein geblieben waren. Eine junge Frau und ein Mann mit steifem, schwarzem Hut hatten sich zu ihnen gesellt, doch er konnte ihre Gesichter nicht erkennen, da sie mit dem Rücken zu ihm standen. Der Mann redete eifrig auf Charlotte ein, die lächelnd den Kopf schüttelte und dann fragend zu ihrer kleinen Cousine sah. Christian ging einige Schritte näher und tat, als würde auch er den Feuerschlucker bewundern; in Wirklichkeit aber wollte er sich Charlottes Gesprächspartner von der Seite besehen und erkannte erleichtert Peter Hansen. Der hatte vor zwei Jahren Charlottes Cousine Ettje geehelicht– auch wenn es hieß, er sei zunächst hinter Charlotte her gewesen, aber er war abgeblitzt, wie so manch anderer auch.
» Ich glaube nicht, dass ich das sehen will«, hörte er jetzt ihre Stimme.
» Nun komm schon! Peter will uns einladen, da wirst du doch nicht kneifen. Willst du Klara den Spaß verderben? Ohne dich geht sie sowieso nicht mit!«
Das war Ettje Hansen, Peter hatte also seine Frau mitgebracht. Worum ging es eigentlich? Was wollte sie nicht sehen?
» Es ist sehr lehrreich, Charlotte. Auch die Zöglinge des Gymnasiums sind gestern mit ihren Professoren dort gewesen. Man glaubt nicht, welch seltsame Wesen auf Gottes Erdboden herumlaufen! Schau doch auf die Reklame!«
Peter Hansen zeigte mit ausgestrecktem Arm auf eines der größeren Zelte, ein kreisrundes Gebilde aus schmutziggelben Tüchern, an denen man ringsherum bunte Reklameplakate angebracht hatte.
Christian musste die Augen zusammenkneifen, um wenigstens die fett gedruckten Worte lesen zu können:
NON PLUS ULTRA . HÖCHST SELTENE UND MERKWÜRDIGE NATURERSCHEINUNGEN
Er kannte diesen Schausteller, einen kleinen, dürren Mann mit einem grauen Ziegenbärtchen, begleitet von seiner Frau und zwei jungen Gehilfen, die möglicherweise seine Söhne waren. Sie kamen seit Jahren zum Gallimarkt und verdienten dabei recht gut, denn die Plätze im Zelt waren nicht gerade billig. In den vergangenen Jahren hatte man einen » Heliophobus, einen Albino«, ausgestellt, einen fettleibigen, blonden Menschen, der blöde vor sich hin glotzte und eine Haut wie eine Käsemade hatte. Dazu eine junge Indianerin aus Neuholland, ein wollhaariges, zartes Ding, das einen Kriegstanz aufführte und mit dem Fleisch von schwarzen Hühnern gefüttert wurde. Erwachsene Männer, die einen Aufpreis bezahlten, durften sie nach der offiziellen Vorstellung noch kurz in ihrer Landestracht bestaunen– mit nichts als einem schmalen, geflochtenen Lederriemen um die Hüften.
Christian Ohlsen hatte die Vorstellung besucht, zweimal sogar, denn das Mädchen war sehr reizvoll, dennoch war ein schales Gefühl bei ihm zurückgeblieben. Er konnte recht gut verstehen, dass Charlotte eine solche Schaustellung nicht sehen wollte.
Man schien sie jedoch inzwischen überredet zu haben, denn die vier bewegten sich in Richtung des gelben Rundzelts. Christian zögerte einen Moment, dann entschloss er sich, hinterherzugehen. Möglicherweise gab es nach der Vorstellung eine Gelegenheit, sich ganz zwanglos über das Dargebotene zu unterhalten, wenn auch nicht mit Charlotte, so doch mit den Hansens. Peter Hansen war Assistent beim Hauptzollamt, Christian hatte öfter mit ihm zu tun, wenn ihm Waren geliefert wurden, vielleicht waren die Hansens ja überhaupt eine gute Chance, näher an Charlotte heranzukommen. Sie wohnten ganz in ihrer Nähe, wenn er sie besuchte, konnte es gut sein, dass er Charlotte dort traf. Wieso kam er erst jetzt darauf? Die Idee war grandios.
Die Marktbesucher standen Schlange vor dem Zelteingang, als er sich hinten anstellte, wurden die Hansens, Charlotte und Klara gerade eingelassen. Ärgerlich blickte er über die Menge der vor ihm Stehenden und versuchte abzuschätzen, ob er überhaupt noch eine Chance hatte, ins Zelt zu gelangen, doch die füllige Ehefrau des Schaustellers, die den Eintritt kassierte, hatte gierige Augen und winkte einen nach dem anderen hinein. Christian war bei den Letzten, die noch einen Sitzplatz ergatterten, zwar nur hinten, wo man nicht allzu viel sehen konnte, aber das war immer noch besser als ein Stehplatz zwischen den Bauern und Landgebräuchern, die nach Kuhstall stanken.
Die Luft im Zelt war so dick, dass man sie hätte in Scheiben schneiden können, was einerseits der warmen Oktobersonne zu verdanken war,
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