Himmel über dem Kilimandscharo
länger, um neue Warensendungen auszupacken oder Preisschilder zu schreiben, sie drängten sich geradezu auf, und Christian war vollkommen klar, was in ihren Köpfen vor sich ging. Aber er würde ganz sicher nichts mit einer seiner Angestellten anfangen, von einer Heirat mal vollkommen abgesehen, da stellte er sich etwas anderes vor. Er hatte die beiden mit Bedacht ausgesucht: Sie waren blond, blauäugig und rundlich, zwei dralle, kleine Landpomeranzen– genau die Sorte Frau, die bei ihm nur Langeweile auslöste.
Er ließ sie noch die Regale auffüllen, die beiden Schaufenster wollte er später selbst neu dekorieren– diese Arbeit liebte er ganz besonders. Der alte Löwenkopf war längst auf dem Speicher in irgendeiner Kiste, wo er vermutlich von den Motten gefressen wurde, dafür hatte er andere Blickfänger eingekauft, einen goldgefassten Elefantenzahn aus Indien, verschiedene Dolche, deren Griffe mit Silber und Mondstein eingelegt waren, afrikanische Schnitzereien aus Ebenholz und den farbenprächtigen Kopfschmuck eines Indianers aus Südamerika, der aus Papageienfedern, bunten Perlen und glitzernden Steinchen gefertigt war. Eine Buddhafigur aus grüner Jade hatte er leider wieder aus dem Schaufenster entfernen müssen, da Superintendent Doden seiner Frau verboten hatte, bei Ohlsen einzukaufen, solange dieser unchristliche Götze im Laden stand.
Er hatte sich gerade für die Ebenholzstatue und den Elefantenzahn entschieden und war schon auf dem Sprung ins Lager, um die passenden Waren und Dekorationsstücke zusammenzustellen, da fiel sein Blick zufällig auf die Straße. War sie das? Natürlich– dort mitten im Gewimmel ging die kleine Dirksen mit ihrer Cousine. Wie hieß sie doch? Klara. Ein schmales, unauffälliges Mädchen; man sah sie ziemlich selten in der Stadt, denn sie hatte mit dem Laufen Mühe, die Ärmste hatte von Geburt an ein lahmes Bein. Die beiden Frauen bewegten sich recht langsam voran, ein oft angestoßenes Hindernis im Strom der fröhlich dahineilenden Menge.
Christian trat näher zum Fenster und spähte angestrengt hinaus. Seit Jahren war ihm die kleine Dirksen nicht aus dem Sinn gegangen, es war geradezu lächerlich, wie sehr er von ihr besessen war. Christian war an die dreißig und ein begehrter Junggeselle in der Stadt, man lud ihn ein, plauderte am Sonntag nach dem Kirchgang mit ihm, und viele Mütter kamen in Begleitung ihrer heiratsfähigen Töchter zum Einkaufen. Er hätte sich längst für eine gute Partie entscheiden können, aber er war nicht auf eine Geldheirat erpicht, er suchte etwas anderes. Etwas Besonderes. Ein Mädchen wie Charlotte Dirksen.
Seit jenem Tag vor über zehn Jahren war sie nur selten im Laden aufgetaucht, meist in Begleitung ihrer Großmutter, die geizig wie die Nacht war und nur den billigsten Kaffee einkaufte. Manchmal auch mit ihrer Tante, einer geschwätzigen Vogelscheuche, mit der er jedoch trotz allem angeregt plauderte, nur um Charlotte ein wenig länger im Laden zu halten. Sie sprach selten, besah sich aber alle Dinge mit großem Interesse, roch an den Gewürzen, atmete tief den Duft der teuren Seifen ein, nahm diese oder jene Schnitzerei in die Hand, betrachtete die bunten Döschen in den Regalen. Er hätte ihr den halben Laden geschenkt für einen freundlichen Blick oder ein paar belanglose Worte, doch Charlotte Dirksen war unnahbar. Komplimenten begegnete sie mit Spott, ein vielsagendes Lächeln konnte dazu führen, dass sie sich umdrehte und wortlos davonging. Das hatte nicht nur er so erfahren, auch andere, denen es um ihre hübsche Mitgift zu tun gewesen war, hatte sie kalt abblitzen lassen.
Er starrte den beiden Frauen nach. Je weiter sie sich entfernten, desto häufiger wurde ihm die Sicht von anderen Marktgängern versperrt, und er musste den Hals recken, um wenigstens noch ihren Strohhut mit den weißen Bändern zu sehen. Charlotte Dirksen war hochgewachsen, überragte ihre Cousine um einen halben Kopf, dabei war sie sehr schlank, geradezu schmal. Als Frauenkenner, der er war– er hatte sich während seiner Studentenzeit kräftig die Hörner abgestoßen–, konnte er jedoch ausmachen, dass sich unter Jacke und Kleid zarte, aber gerade deshalb umso verlockendere weibliche Formen verbargen.
Es war das Exotische, das ihn immer an Charlotte Dirksen fasziniert hatte. Die leichte Brauntönung ihrer Haut im Sommer. Das füllige, pechschwarze Haar, das er gar zu gern einmal aufgelöst gesehen hätte. Die verwirrende Farbe ihrer Augen, die an
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