Himmel über dem Kilimandscharo
verehrte Damen und Herren, es besteht keine Gefahr. Wenn Sie nicht hinschauen mögen, machen Sie einfach die Augen zu…«
» Das ist abscheulich! Sie sind ein Ungeheuer!«
Gott im Himmel, es ist Charlotte!, dachte Christian entsetzt und fuhr von seinem Sitz hoch. Sie macht sich vor allen Leuten lächerlich!
Charlotte hatte keine Chance, zwischen den vollbesetzten Bänken hindurch zum Ausgang zu gelangen, er sah sie aufgebracht hin- und herlaufen. Schließlich versuchte sie, sich durch die Menge der stehenden Zuschauer zu drängen, verfolgt von Geschrei und Gelächter. Neuer Tumult entstand, als einige der Leute sie nicht durchlassen wollten.
» Bleib daheim, wenn du schwache Nerven hast!«
» Willst uns die Vorstellung versauen? Ich hab bezahlt und geh hier nicht weg!«
» Stell dich nicht so an– hast du noch nie ein totes Huhn gesehen?«
Christian war keine Kämpfernatur, dennoch stieg er hastig über die Beine der neben ihm sitzenden Leute hinweg, trat etlichen auf die Füße, stolperte, erntete Flüche und schrille Aufschreie, dann hatte er die Stehplätze erreicht.
» Weg da! Macht Platz!«
Seine blindwütige Entschlossenheit machte Eindruck, man wich vor ihm zurück, protestierte nur halbherzig, und es gelang ihm, bis zu der gelben Zeltplane vorzustoßen, deren einzelne Bahnen mit Lederriemen und Schnallen an schmalen Eisenpfosten befestigt waren. Dort, wo zwei Bahnen aufeinanderstießen, würde es möglich sein, einen Durchschlupf zu schaffen.
» Hierher, Fräulein Dirksen!«, brüllte er. » Hier geht es hinaus!«
Er nestelte an einer Schnalle herum, brach sich fast die Fingernägel ab, doch zum Glück begriff ein junger Bursche neben ihm, was er vorhatte, und machte sich ebenfalls an den Schnallen zu schaffen. Christian spähte nach Charlotte, erblickte ihren Hut und die weißen Bänder, schob die Leute rüde beiseite und streckte den Arm nach ihr aus.
» Hierher! Zu mir! Ich führe Sie hinaus!«
Die Plane gab nach, durch den Schlitz drang helles Sonnenlicht ein, und im gleichen Moment gelang es ihm, Charlottes Hand zu fassen. Er handelte impulsiv, fragte nicht nach ihrem Einverständnis, sondern zog sie zu sich heran und legte schützend den Arm um ihre Schultern. Sie wehrte sich nicht, begriff, was er vorhatte, und ließ sich, gefolgt von Beschimpfungen und Lachsalven, zu dem improvisierten Ausgang schieben. » Vorsicht. Unten ist das Tuch noch befestigt.«
Nacheinander stiegen sie durch die Öffnung und fanden sich auf dem lärmenden Markt wieder. Dicht neben ihnen wurde Branntwein ausgeschenkt, eine Frau sang laut und heiser, ein junger Kerl mit Schirmmütze torkelte herum, und Christian stellte sich schützend vor Charlotte.
Sie atmete rasch, überwältigt von Abscheu und Zorn verbarg sie ihr Gesicht in den Händen. Er sah, dass ihre Schultern zitterten, und war heftig versucht, sie in die Arme zu nehmen, doch er beherrschte sich; es wäre nicht anständig von ihm gewesen. So blieb er dicht bei ihr stehen, wartete, bis sie sich beruhigt hatte, und sorgte dafür, dass keiner der betrunkenen Zecher ihr zu nahe kam.
» Ich muss Sie um Verzeihung bitten, Fräulein Dirksen.«
Charlotte hatte die Hände vom Gesicht genommen und versuchte, ihr Haar in Ordnung zu bringen. Sie hatte nicht geweint, wie er zuerst glaubte, es war nur die Aufregung gewesen, die sie hatte zittern lassen. Jetzt wirkten ihre Züge wieder gefasst, nur ihre schmal zusammengekniffenen Augen verrieten ihre innere Bewegung.
» Sie? Aber wofür denn?«
» Ich fürchte, ich habe mich in der Aufregung despektierlich verhalten. Ich… ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten…«
Erst jetzt schien sie sich darüber klar zu werden, dass er vorhin den Arm um sie gelegt hatte. Er hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen– jetzt hatte er sie verschreckt, wie dumm von ihm.
» Sie haben sich großartig benommen, Herr Ohlsen. Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet.«
» Aber nein!«, rief er erleichtert. » Es geschah ganz spontan, ich weiß selbst nicht, was da über mich gekommen ist. Aber ich bin sehr froh darüber…«
Hinter ihm begann die Frau wieder zu grölen, sie verlangte nach Branntwein, eine raue Stimme erklärte, sie habe bereits genug und solle sich endlich davonmachen. Christian Ohlsen nahm diese Geräusche nur am Rande wahr, denn Charlotte Dirksens schwarze Augen musterten ihn mit großer Eindringlichkeit.
» Es war so grauenhaft«, sagte sie leise. » Ich habe noch niemals in meinem Leben etwas so
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