Himmel über dem Kilimandscharo
Erdoberfläche und ging nur des Nachts auf die Jagd, daher auch die eckigen, roten Augen. Doch zu Christians Überraschung wurde eine andere Attraktion angekündigt, der Albino musste dem Schausteller irgendwie abhandengekommen sein, vielleicht war der arme Bursche ja gestorben.
» Ein wollhaariger Neger aus dem Urwald am Kilimandscharo«, verkündete der Ziegenbart dem Publikum mit großer Geste. » Sein Stamm ist es gewohnt, Menschenfleisch zu essen, sowohl roh als auch gebraten. Dieses Exemplar wurde vor einem Jahr bei einer Expedition ins Innere von Schwarzafrika von Lord Stanhope gefangen genommen und in einem vergitterten Käfig nach Europa gebracht.«
Die Vorhangzieher machten ihre Sache gut. Wie aufs Stichwort hin öffneten sich die roten Stoffbahnen, und man erblickte die massige, dunkle Gestalt des Negers. Sein Oberkörper war unbekleidet, um die Lenden hatte er ein Fell gewickelt, das vermutlich von einem gescheckten Fohlen stammte. Er torkelte einige Schritte nach vorn, verzog das Gesicht und bleckte die weißen Zähne, die spitz gefeilt waren und einem Raubtiergebiss ähnelten. Der Effekt war außerordentlich. Eine Frau kreischte voller Panik, und der Ziegenbart beeilte sich zu versichern, dass sein Neger vollkommen ungefährlich und zahm sei, was man auch an dem Ring sehen könne, der durch seine Nase gezogen war. Außerdem habe man ihm die Menschenfresserei längst abgewöhnt, er ernähre sich von lebendigem Federvieh und nehme auch Haferbrei gern an.
Die Leute beruhigten sich, einige mutmaßten, der Neger blecke nicht die Zähne, um zu beißen, sondern um zu lächeln, doch nicht alle konnten sich dem anschließen. Indessen stand der bekehrte Menschenfresser immer noch unbeweglich auf der Stelle und zeigte weder Scheu noch Angriffslust. Sein großer, schwarzer Körper glänzte, offenbar hatte man ihn vor der Vorstellung mit irgendeinem Fett eingerieben.
» Dieses Exemplar ist kräftig und von schönem Wuchs, die Haut schwarz wie Ebenholz, außer an den Innenflächen der Hände und Füße…«
Der Ziegenbart näherte sich furchtlos dem dunkelhäutigen Riesen, stemmte seinen herabhängenden, rechten Arm in die Höhe und drehte die Hand so, dass man die helle Innenfläche sehen konnte. Ein leichter Tritt veranlasste das Schauobjekt, auch den Fuß zu heben, um dem geneigten Publikum den wissenschaftlichen Beweis für die Richtigkeit der zuvor erfolgten Aussage zu erbringen. Christian war hin- und hergerissen von dieser Demonstration, die ihm unwürdig, zugleich aber auch spannend erschien. Was hatten sie mit diesem schwarzen Riesen gemacht, dass er so gleichmütig auf der Stelle stand und sich wie eine Gliederpuppe bewegen ließ? Man konnte die dicken Muskelstränge unter der glänzenden Haut erkennen– jetzt waren sie schlaff, doch eben, als der Ziegenbart ihm den Arm hochgestemmt hatte, hatte man sehen können, wie sie anschwollen. Ein einziger Schlag hätte dem Schausteller den Garaus machen können, doch der Schwarze stand fromm wie ein Lamm da und grinste in die gaffende Menge. Seine Augen kamen Christian seltsam starr vor. Ein Schlafmittel? Ein betäubender Saft? Oder konnte es sein, dass der Bursche den Verstand verloren hatte und gar nicht mehr wahrnahm, was mit ihm geschah?
Die fette Ehefrau des Ziegenbarts erschien in einem safrangelben, mit glitzernden Borten und Glasperlen besetzten Gewand, in dem sie aussah wie ein riesiger Pudding. Sie hielt in jeder Hand ein braunes Huhn ohne Kopf und zeigte das tote Federvieh den Zuschauern, als sei dies etwas ganz und gar Außergewöhnliches.
» Sie erleben jetzt die Speisung des afrikanischen Menschenfressers, welche täglich zu dieser Stunde und in der gleichen Weise vonstattengeht. Aus Rücksicht auf die weiblichen Zuschauer wird der Neger die Hühner nicht lebendig verzehren, wie es seine Gewohnheit ist, dafür aber ungekocht und noch lebenswarm. Nach der Speisung wird er den Kriegstanz seines Volkes vorführen, den die Kikuju vor einer Menschenjagd stets…«
Christian starrte noch auf die kopflosen Hühner, die die safrangelbe Schaustellerin vor dem Publikum schwenkte, als er plötzlich einen hellen, zornigen Aufschrei vernahm, der ihn erschrocken zusammenfahren ließ. In der ersten Reihe war Bewegung entstanden, einige Zuschauer waren aufgesprungen, man hörte ärgerliche Ausrufe, Kinder schrien, Frauen schimpften, dann vernahm man die laute Stimme des Schaustellers.
» Beruhigen Sie sich, meine Gnädigste. Bleiben Sie auf Ihren Plätzen,
Weitere Kostenlose Bücher