Himmel über dem Kilimandscharo
Bernstein erinnerte. Sie war eine Kostbarkeit, ein Luxuswesen, die kleine Dirksen, so eine fand man nicht alle Tage, vor allem nicht hier auf dem platten Land in einem grauen Städtchen, wie Leer es war.
Was mochte sie bei den Schaubuden treiben? Wollte sie ihrer Cousine die Menagerie mit den seltenen Tieren zeigen? Oder hatte sie anderes im Sinn? Jemanden treffen, dem es inzwischen gelungen war, den harten Panzer ihrer Abwehr zu durchdringen? Dazu war der Markt wohl geeignet, im Gewimmel der vielen Fremden fiel ein Gespräch mit einem jungen Mann kaum auf. Christian Ohlsen mochte daran nicht so recht glauben– trotzdem verspürte er Eifersucht, und seine Laune verdüsterte sich.
» Wir sind fertig, Herr Ohlsen«, sagte hinter ihm eines der Mädchen. » Es ist noch früh– wir könnten noch die neue Lieferung aus Bremen auspacken…«
» Lasst es gut sein«, erwiderte er unfreundlich. » Ihr könnt jetzt gehen. Sicher wollt ihr euch auch mal den Markt anschauen.«
Sie bedankten sich, und er merkte amüsiert, dass sie enttäuscht waren. Es gefiel ihm, hob es doch sein Selbstbewusstsein, das bei dem Gedanken an Charlotte Dirksen stets ins Wanken kam. Verdammt– er war schließlich jemand, die Frauen liefen ihm hinterher, wollten sogar umsonst für ihn arbeiten–, wieso gelang es ihm nicht, die kleine Dirksen zu beeindrucken? War sie vielleicht eine Prinzessin? Die Tochter des Bürgermeisters? Des Amtmanns? Ihr Großvater war Pfarrer gewesen und sie selbst eine Waise. Charlotte Dirksen hatte keinen Grund, so hochmütig zu sein.
Keinen, außer der Tatsache, dass sie eine Kostbarkeit war, die Christian Ohlsen heiß begehrte.
Die Schaufenster konnte er auch morgen oder am Montag noch umdekorieren, jetzt hatte er sowieso keine Ruhe dazu. Er lief aus dem Laden in den Flur, schaute rasch nach, ob noch einer der Angestellten im Lager war, dann schloss er ab und eilte die Treppe hinauf in seine Wohnung. Er wechselte Weste und Jacke, wählte einen farbigen Binder und schlang ihn zu einer kecken Schleife. Vor dem Spiegel blieb er stehen, setzte den Hut auf, schob ihn vor und zurück, glättete das Haar an den Schläfen und fuhr sich mit dem befeuchteten Zeigefinger über die Augenbrauen.
Er nahm den Hinterausgang, den auch die Angestellten zu benutzen hatten, und ging zwischen Häusern und Gärten hindurch zum Markt, da er wenig Lust verspürte, sich durch die belebte Pfefferstraße zu quetschen. Mühsam zwang er sich, langsam zu gehen– sie würde ganz sicher noch bei den Schaubuden sein. So rasch konnte sie den Markt nicht wieder verlassen haben, mit ihrer gehbehinderten Cousine schon gar nicht.
Der Lärm war ohrenbetäubend, nicht nur die Marktbesucher johlten und schwatzten, auch die Schausteller taten ihr Bestes, um durch lautes Gebrüll auf sich aufmerksam zu machen. Die Wohlhabenderen unter ihnen hatten Zelte oder phantasievolle, farbige Buden aufgebaut, die orientalischen Palästen ähnelten und allein schon durch ihr pittoreskes Aussehen das Volk anzogen. Christian überlegte, ob Charlotte wohl Gefallen an der exotischen Menagerie haben könnte. Dort wurden in einem roten Zelt allerlei halb kranke Tiere ausgestellt: Leoparden, Zebras, ein zahnloser Löwe und eine Schlange. Er hatte sich als Kind eine solche Schau angesehen und erinnerte sich jetzt noch an den stechenden Geruch, der nichts mit den Ausdünstungen von Pferden oder anderer heimischer Tiere zu tun hatte. Unentschlossen ging er weiter, begegnete einigen Bekannten, die freundlich zu grüßen waren, ließ sich eine– natürlich heiratsfährige– Nichte und deren Freundin vorstellen und ärgerte sich über den lästigen Aufenthalt.
» Sehen wir Sie kommende Woche, lieber Herr Ohlsen? Zum Vereinsfest der Liedertafel werden Sie doch gewiss kommen wollen!«
Er zog höflich den Hut und versicherte, alles möglich zu machen, um dieses Ereignis nicht zu verpassen. Allein das Geschäft erfordere natürlich seinen ganzen Einsatz…
Im gleichen Augenblick entdeckte er Charlottes Strohhut mit den weißen Bändern und hatte es eilig, sich zu verabschieden. Mühsam schob er sich durch die Menge, ärgerte sich, wenn man ihn beiseitedrängte und er Charlotte für eine Weile aus den Augen verlor, doch er verstand es geschickt, trotz aller Umwege immer auf Kurs zu bleiben. Eine rotgelbe Flamme züngelte auf, man hörte die erschrockenen und begeisterten Ausrufe der Leute, und er begriff, dass Charlotte und ihre Cousine die Künste des Feuerschluckers
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