Himmel ueber fremdem Land
Haus. Anna Wyrubowa traf in diesem Augenblick ein …«
Anki bemerkte selbst, dass ihr Bericht ausgesprochen planlos und verwirrend ausfiel, und obwohl sie sich inzwischen beruhigt hatte, beließ sie es dabei. Vielleicht ließ man sie dadurch schneller in Ruhe. Doch machten die Blickwechsel zwischen Fürst Jussupow, Fürstin Chabenski und einigen anderen Anwesenden diesen Wunsch schnell zunichte, denn sie erfassten trotz Ankis wirr vorgebrachter Erzählung, mit wem das Kindermädchen zusammengetroffen war.
Anki schloss bekümmert die Augen, und mit erschreckender Intensität holten sie die Erinnerungen an den stechenden Geruch und die ihren Blick gefangen nehmenden Augen des Mannes ein.
»Was ist mit Ljudmila Zoraw?«, erkundigte sich Fürstin Chabenski sanft und setzte sich neben Anki auf einen zweiten von Jakow bereitgestellten Stuhl.
»Sie ist bei ihm geblieben. Ich …« Anki hob endlich den Kopf, um ihre Arbeitgeberin anzuschauen. »… ich bin geflohen, denn dieser Mann machte mir Angst, Hoheit.«
»Berührte er Sie etwa unsittlich?«, hörte sie eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund fragen.
Anki verneinte. Zwar hatte sie seine Nähe als überaus unangenehm empfunden, dennoch konnte sie seine Berührungen nicht unsittlich nennen.
»Sie zittern, Fräulein Anki. Ich schicke nach Nadezhda, damit sie Sie auf Ihr Zimmer bringt.« Ihre Arbeitgeberin strich ihr fürsorglich über die Wange und lächelte ihr beruhigend zu.
Nadezhda, eines der älteren Dienstmädchen im Hause Chabenski, kam herbeigeeilt, stützte Anki fürsorglich und erklomm mit ihr die geschwungene Treppe in den oberen Stock. Als sei Anki nicht ebenfalls eine Angestellte in diesem Haushalt, sondern vielmehr eine der Herrschaften, half Nadezhda ihr beim Entkleiden, was Anki beinahe willenlos geschehen ließ. Seufzend kuschelte sie sich anschließend in die Kissen ihres Bettes, während das Dienstmädchen leise die Tür hinter sich schloss.
Allerdings erweckte die nun herrschende Dunkelheit die Erinnerungen an das heutige Erlebnis wieder zum Leben. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zitternd die Decke über sich zu ziehen und die unheimlichen Bilder zu ertragen.
Kapitel 5
Berlin, Deutsches Reich,
März 1908
Die Hochzeitsvorbereitungen wurden mit Hochdruck vorangetrieben. Lastkarren mit Pflanzenkübeln, Schnittblumen, Stoffe für Tischdecken und Kleider und Unmengen von Lebensmitteln hatten ihren Weg in das neue Zuhause der van Campen-Mädchen gefunden.
Auch Demy wurde komplett eingekleidet, wobei das einzige Ausstattungsstück, das sie tatsächlich erfreute, eine vorzügliche Reitausrüstung war.
In diesen geschäftigen Tagen bekam sie ihre Schwester nur zu den gemeinsamen Mahlzeiten zu Gesicht, bei denen Joseph, Hannes und dieser unverschämte Philippe ihnen Gesellschaft leisteten.
Inzwischen hatte Demy in Erfahrung gebracht, dass Philippe, ein naher Verwandter der Familie, als Kind vom alten Meindorff aufgenommen worden war. Allerdings gingen die Geschichten über den Offizier so weit auseinander, dass sie hinterher eher verwirrter als klüger war, was ihre Einschätzung von ihm anging.
Der Hausherr, Joseph Meindorff Senior, weilte noch geschäftlich im Ausland und wurde an diesem Tag, dem Abend vor der Hochzeit, zurückerwartet, während Albert, der jüngste Spross der Meindorffs, von der Kadettenanstalt Groß-Lichterfelde keine Erlaubnis erhalten hatte, dem Fest beizuwohnen.
Da die ersten Gäste bereits eintrafen, wies Tilla Demy an, eines ihrer neuen Kleider anzuziehen und ständig in ihrer Nähe zu sein, sobald sie Neuankömmlinge begrüßte.
In einem eng anliegenden Kleid aus hellgrüner Seide, die mit einem hauchzarten dunkelgrünen Chiffonstoff mit schwarzen Ranken bedeckt war, betrat eine verunsicherte Demy das Foyer. Ihre Hände waren feucht vor Aufregung und alle ihre Sinne aufs Äußerste angespannt, zumal noch immer niemand es für nötig befunden hatte, sie in ihre Rolle einzuweisen.
Für Demy war es beängstigend, nicht zu wissen, was an diesem Abend von ihr erwartet wurde, auch weil sie sich mit ihrer extravaganten Garderobe deutlich von der sonstigen Dienerschaft abhob. Sie gewann den schmerzlichen Eindruck, weder zu Tillas neuer Familie dazuzugehören noch von den dienstbaren Geistern im Haus als Ihresgleichen angesehen zu werden.
Hilfe suchend sah sie sich in der großen Halle um, deren elektrische Beleuchtung an diesem Abend nicht angeschaltet war. Dafür erhellten Hunderte von Kerzen in den Kronleuchtern
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