Himmel ueber fremdem Land
vom knirschenden Geräusch eisenbeschlagener Kutschräder, näherte sich ihr.
Anki war einen Moment versucht, sich direkt an die Steinmauer zu rollen, um unbemerkt zu bleiben. Sie verwarf den Gedanken rasch wieder, zumal der aus den beleuchteten Sprossenfenstern der Häuser fallende Schein und die orangefarbenen Lichtkegel der Straßenlaternen sie unbarmherzig anstrahlten. Mühsam erhob sie sich und taumelte weiter, bis sie zu ihrem Schrecken bemerkte, dass das Fahrzeug neben ihr stoppte. Die Tür sprang auf, noch ehe der Kutscher abgestiegen war, um diese für seinen Fahrgast zu öffnen.
Schon längst hatte Anki das Wappen an der Tür erkannt, und so knickste sie, als Fürst Felix Felixowitsch Jussupow vor sie trat. Er kam von einer Festlichkeit bei der Familie Chabenski und musste Anki nicht nur gesehen, sondern auch sofort erkannt haben.
»Du bist Anki, das Kindermädchen der Chabenski-Mädchen, nicht? Warum läufst du um diese späte Stunde allein durch die Straßen?«
Die Mischung aus Sorge und Schrecken in der Stimme des jungen russischen Adeligen trieb ihr vor Erleichterung die Tränen in die Augen.
»Bist du überfallen worden, Mädchen? Geht es dir nicht gut?« Der Fürst trat einen Schritt näher und musterte sie besorgt. Mit ihrer aufgelösten Frisur, den erhitzten Wangen und den aufgeschlagenen Knien sah sie furchtbar aus. Dennoch befahl er über die Schulter hinweg seinem Kutscher, das Gefährt zu wenden. »Ich bringe dich zu den Chabenskis.«
»Aber bitte, Hoheit, es sind doch nur ein paar Schritte. Sie brauchen nicht …«
»Oksana Andrejewna würde es mir nie verzeihen, wenn ich das Kindermädchen ihrer Töchter in diesem Zustand auf der Straße stehenließe. Komm, ich helfe dir in die Kutsche.«
Der Kutscher hatte unterdessen die Equipage in der Glinkistraße gewendet und vor ihnen angehalten. Anki gehorchte, weniger, weil der Adelige es wünschte, sondern vielmehr, um der dunklen, kalten Straße und den lauernden Augen in ihrer Erinnerung zu entkommen.
Nach ihr kletterte Fürst Jussupow in das angenehm warme Innere und setzte sich ihr gegenüber auf die roten Samtpolster. Während der kurzen, schweigsamen Fahrt betrachtete Anki durch das Fenster angestrengt die Lichtspiegelungen auf dem nassen Pflaster.
Als der Kutscher das Gefährt vor dem in sanftem Orange und leuchtendem Weiß gehaltenen Chabenski-Palais zum Stehen brachte, stieg der Adelige zuerst aus, ließ Anki von seinem Kutscher aus dem Gefährt helfen und geleitete sie zu der monumentalen Eingangspforte mit dem Stuckdach, das von weißen Säulen getragen wurde.
Anki stolperte die niedrigen Stufen hinauf, weshalb Fürst Jussupow sie stützte und ihr einen fragenden Blick zuwarf, dem sie mit einem beschämten Senken des Kopfes auswich.
Es war Jakow, der ihnen öffnete, kaum dass der tiefe Klang der Glocke verhallt war. Anki sah in seinem Gesicht zuerst Verwunderung über die unerwartete Rückkehr des Gastes, den er soeben erst verabschiedet hatte, als auch seinen Schreck über Ankis aufgelösten Zustand.
Aus dem Festsaal drang fröhliche Klaviermusik ins Foyer; offenbar unterhielt Fürstin Chabenski ihre Gäste am Flügel. Zu Ankis Entsetzen blieb Fürst Jussupow an ihrer Seite. Ihr Wunsch, unbemerkt in ihr Zimmer zu flüchten, war somit hinfällig.
Das Klavierspiel verklang. Für einen Moment herrschte Stille im Erdgeschoss des Palasts, die gleich darauf vom begeisterten Beifall der Gäste abgelöst wurde. Die Fürstin hob den Kopf, erblickte ihren jungen Gast im Türrahmen und lächelte ihm etwas irritiert zu, doch als ihr Blick auf die neben ihm stehende Anki fiel, wurde sie sofort ernst.
»Fräulein Anki, was ist mit Ihnen geschehen?«, rief sie in ihrem fast perfekten Deutsch erschrocken aus, erhob sich vom Klavierhocker und eilte zur ihr.
»Bitte, Jakow, einen Stuhl für Fräulein Anki!«, wies sie den Diener an, der ihrem Auftrag unverzüglich nachkam. Inzwischen näherten sich weitere Gäste und betrachteten im Licht der Kronleuchterkerzen das verschmutzte und zerzauste Mädchen.
»Sie waren doch gemeinsam mit Ljudmila Sergejewna unterwegs. Was ist euch nur zugestoßen?«, wiederholte die Fürstin aufgewühlt ihre Frage.
Anki, der bewusst war, dass sie ohne eine befriedigende Antwort kaum die Flucht in ihr Zimmer antreten durfte, murmelte: »Ljudmila traf heute diesen Heiler. Ich wollte sie nicht begleiten und beschloss, in der Kutsche zu warten. Als es mir kalt wurde, bin ich ausgestiegen. Da kam dieser Mann aus dem
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