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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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Musikzimmers vorbei zum Speiseraum, in dem die Bediensteten bereits alle Spuren der Feier vom Vorabend beseitigt hatten.
    »Sollten wir Demy nicht fragen, ob sie uns begleiten möchte, Philippe? Jetzt, da ihre Halbschwester für ein paar Wochen auf Reisen ist, ist sie sicher einsam. Sie kennt in Berlin doch keine Menschenseele.«
    Philippe griff nach drei Scheiben Brot und der blumengeschmückten Porzellanbutterdose und trug sein Frühstück hinüber an den Esstisch. »Wenn du etwas für die Kleine tun willst, dann sorge dafür, dass sie wieder zur Schule gehen darf.«
    Hannes, der noch unschlüssig am Büfett verharrte, drehte sich zu ihm um. Seiner Jugend zum Trotz besaß er bereits die steife Haltung und die blasiert wirkenden Bewegungen seines Vaters, und Philippe wusste nicht recht, ob er sich darüber lustig machen oder sich ärgern sollte.
    »Sie zur Schule schicken? Wie kommst du denn auf die Idee? Sie ist die Gesellschafterin meiner Schwägerin. Tilla wünscht das Mädchen in der fremden Stadt und auf Reisen bei sich zu haben. Sie hat mit Sicherheit ihre Schulausbildung abgeschlossen – wenn auch noch nicht vor sehr langer Zeit.«
    »Und aus welchem Grund begleitet sie Tilla nicht auf ihrer Hochzeitsreise?«
    Hannes zog die Schultern in die Höhe. »Soweit ich weiß, wollte Joseph sie nicht mitnehmen.«
    Philippe wandte sich seinem Teller zu und schüttelte den Kopf über so viel Blindheit und Ignoranz. Demy war doch ganz offensichtlich ein unmündiges Mädchen, das von ihrer egozentrischen älteren Schwester aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und in diese Stadt verpflanzt worden war, die ein amerikanischer Besucher vor nicht allzu langer Zeit als »das Chicago des Deutschen Reiches« tituliert hatte. Entweder hielten die Meindorffs sie konsequent an der kurzen Leine und sie integrierte sich in den Haushalt, oder sie würde der Familie innerhalb kürzester Zeit entgleiten. Eigenwillig genug war sie dafür allemal!
    »Hast du Tilla einmal nach dem wahren Alter des Mädchens befragt?«, fragte er, bevor er in sein Brot biss.
    »Das würde mir nicht einfallen!«
    »Du würdest wohl auch keine ehrliche Antwort erhalten. Dieses Kind ist mit Sicherheit keine sechzehn Jahre alt. Vermutlich ist sie eine groß gewachsene Zwölf- oder Dreizehnjährige mit, wie nannte Tilla es gleich: großer Intelligenz und Eloquenz . Vermutlich ist auch ihr Anpassungsvermögen und ihr Schauspieltalent bestens ausgeprägt.«
    Hannes ließ sich ihm gegenüber nieder, ignorierte aber sein Essen und die Bemühungen eines Dienstmädchens, ihm Kaffee einzuschenken. »Wie kommst du bloß auf diese abstrusen Gedanken?«
    »Ihr Körperbau, ihre Stimme, ihre ganz offensichtlich mangelnde Erfahrung im Umgang mit Erwachsenen und einige der Nettigkeiten, die sie mir an den Kopf geworfen hat, deuten darauf hin, dass ihr eine gewisse Reife fehlt.«
    »Du musst es ja wissen, Casanova«, spottete Hannes und ergriff eine Glasschale mit Marmelade. »Du sagst das doch nur, weil sie für deinen sonst für Frauen so unwiderstehlichen Charme unempfänglich ist …«
    »Ein weiterer Beweis für meine Theorie!« Philippe lachte und biss erneut in sein Butterbrot.
    »Also wollen wir sie nicht mitnehmen?«
    »Nach Magdeburg? Bestimmt nicht. Sorge dafür, dass sie Unterricht erhält, und schenk ihr vielleicht noch ein Hündchen oder ein Pferd; damit wird sie noch drei, vier Jahre glücklich sein und dich danach womöglich aus lauter Dankbarkeit heiraten.«
    Zu Philippes Erstaunen sah er, dass Hannes errötete. Schnell senkte er den Blick auf seinen Teller, um seine Grimasse zu verbergen. Anscheinend war es höchste Zeit gewesen, dem Jungen die Augen über Demy zu öffnen! Philippe fragte sich, ob er nicht gleich auch mit seiner Vermutung herausrücken sollte, dass die beiden van Campen-Mädchen keinesfalls einem wohlhabenden Elternhaus entstammten, wie man das der Familie Meindorff vorgespielt haben musste. Aber unter Umständen konnte er dieses Wissen eines Tages noch gewinnbringender einsetzen …

Kapitel 6
    Berlin, Deutsches Reich,
März 1908
    Demy dachte lange darüber nach, wie sie das soeben Erlebte, vor allem aber den derben Rüffel des Hausherrn, einzuordnen hatte. Niemals zuvor war sie so behandelt worden, und das nur, weil sie versucht hatte zu helfen! Jetzt rächte es sich, dass ihre Schwester es versäumt hatte, ihr ein paar Regeln aufzuzeigen, die für sie als Gesellschafterin einzuhalten waren. Obwohl – womöglich wusste Tilla selbst nicht,

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