Himmel ueber fremdem Land
den Kopf schief, kniff ein Auge zusammen und musterte sie mit dem anderen, als hoffe er, niemand bemerke, dass er eine junge Dame anschaute.
»Sind Sie eine Prinzessin?«, fragte er schließlich und erhielt dafür von der Aufsichtsperson einen kräftigen Knuff in den Rücken.
Demy lachte fröhlich auf und schüttelte den Kopf, wobei ihr die Federn ihres Hutes über die Wangen strichen. Erst durch diese Berührung wurde sie sich wieder ihrer vornehmen Garderobe bewusst, die im deutlichen Gegensatz zu der eher einfachen Ausstattung der Kinder und des Fräuleins stand. Nun konnte sie sich auch deren Reaktion erklären. Sie selbst war ja unlängst in der Gegenwart des Großbürgertums ebenso verunsichert gewesen.
»Mein Name ist Demy. Ich komme aus den Niederlanden, direkt von der Nordsee. Ich bin keine Prinzessin und werde nie eine sein. Ich bin als Gesellschafterin und …«, sie brach ab und zog irritiert ihre Nase kraus. Zum ersten Mal stand ihr deutlich vor Augen, dass ihre Schwester mit ihrer Eheschließung eine wohlhabende Dame geworden war. Tilla gehörte nun einer mächtigen und schwerreichen Unternehmerfamilie an, deren elektrische Produkte weithin bekannt waren. Somit war Tilla ein Mitglied des Berliner Großbürgertums.
Demy beendete den begonnenen Satz nicht. Stattdessen entfernte sie die Hutnadeln, zog sich den Kopfputz herunter, entledigte sich ihrer Handschuhe und legte beides ins Gras, bevor sie neben den Schuhen der Zwillinge Platz nahm.
»Wie heißt du?«, fragte sie den Jungen, der es gewagt hatte, sie anzusprechen.
»Willi.«
»Grüß dich, Willi. Ist das Wasser im Teich nicht sehr kalt?«
»Doch, aber es macht Spaß. Komm, Peter.« Willis Zwilling traute sich noch immer nicht, sie anzusehen, und folgte der Aufforderung seines forschen Bruders sichtlich erleichtert.
»Ich bin Lieselotte Scheffler.« Die Betreuerin der Kinderschar lächelte sie verhalten an. »Und das ist meine Schwester Helene.«
Ein dreijähriges Mädchen blickte zu ihr auf, klammerte sich aber weiterhin an den Rock ihrer Schwester.
»Dies sind unsere Nachbarskinder Fanny Zepf und Elli Pfeil.« Lieselotte deutete auf die beiden sieben- oder achtjährigen Mädchen, deren blonde, geflochtene Zöpfe von dunklen Schleifen zusammengehalten wurden.
Während Elli Demy schüchtern anlächelte, zogen Fanny und Helene es ebenfalls vor, sich zu entfernen. Letztendlich blieb nur Lieselotte zurück, die sichtlich nervös mit den Füßen über den leicht abschüssigen Wiesenboden scharrte.
Obwohl Lieselotte die Ältere von ihnen beiden war, spürte Demy, dass sie die Zügel in die Hand nehmen musste. Also fragte sie Lieselotte nach ihrer Familie, und diese erzählte, nachdem sie sich in einem respektvollen Abstand neben ihr niedergelassen hatte, zurückhaltend von ihrer früheren Landwirtschaft.
Die Schefflers hatten erst vor ein paar Wochen ihren Hof aufgegeben, um in die Stadt zu ziehen, da der Vater gehofft hatte, eine Anstellung in einer der Fabriken zu erhalten. Doch nun stellte sich heraus, dass dies bei Weitem nicht so einfach war, wie Lieselottes Eltern es sich vorgestellt hatten. Demzufolge schlug ihr Vater sich im Moment mit Gelegenheitsarbeiten durch, während die Mutter einer schlecht bezahlten Arbeit in einer der vielen Brauereien Berlins nachging.
Lieselotte, offensichtlich froh, jemandem von ihrer Misere berichten zu können, fuhr fort: »Aus diesem Grund muss ich mich um meine Geschwister kümmern, wobei ich meist noch ein paar weitere Kinder aus den Hinterhofwohnungen mitgeschickt bekomme.«
Demy empfand Mitleid mit der jungen Frau. Die Situation zwang nicht nur ihre Eltern, sondern auch sie dazu, ihre Hoffnungen und Träume erst einmal beiseitezuschieben. Sie erfuhr von der plötzlich sehr gesprächigen Lieselotte, dass auch die Eltern der anderen Mädchen oft zwölf oder mehr Stunden bei der Arbeit verbrachten.
Mehr und mehr verlor Lieselotte ihre Scheu vor der gut gekleideten Fremden, und als Demy ihr anvertraute, dass sie ganze drei Jahre jünger war als Lieselotte, brach diese in fröhliches Gelächter aus.
Es dauerte nicht lange und die beiden Mädchen waren, umgeben von der munteren Kinderschar, unterwegs in Richtung Stadtmitte. Sie schlenderten durch den Tiergarten und näherten sich der belebten, von vielen Automobilen frequentierten noblen Prachtstraße Unter den Linden mit ihrer wunderschönen Allee.
Staunend betrachtete Demy das monumentale Steintor mit der Quadriga obenauf, unter dem sie soeben
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