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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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Seufzer. »Genau siebzig. Scheiße, wie die Zeit vergeht.«
    »Das stimmt, das tut sie«, stimmte ich ihm zu. »Aber du selbst bist doch erst achtundsechzig, oder? Obwohl du älter wirkst.«
    »Vielen Dank«, sagte Fjodor. »Weißt du, es ist mir scheißegal, wie alt ich bin. Ob ich lebe oder tot bin, das ist mir auch vollkommen gleich. Aber Christina behauptet, sie könnte nicht ohne mich leben, deshalb versuche ich mich so gut es geht weiterzuschleppen. Uns geht es gar nicht so schlecht, zumindest wenn man bedenkt, wie sehr ich mich verausgabt habe.«
    »Gebrannt an beiden Enden?«
    »An jedem verdammten Ende, das es gab«, seufzte Fjodor. »Aber kannst du dir vorstellen, dass sie in den alten Räumen immer noch Zeitungen produzieren? Hinten in Camden, wo wir The Spiff herausgegeben haben. Das ist doch merkwürdig.«
    »Äußerst merkwürdig«, stimmte ich zu, und plötzlich war die Müdigkeit da. Wie üblich. Es geschieht innerhalb von Sekunden, manchmal kann das lästig sein, oder es wäre für eine Person lästig, die dazu eine Veranlagung hat. Aber da wir uns an diesem bestimmten Ort befanden, in einem wohltemperierten Ruheraum in Londons ältestem Bad, erklärte ich Fjodor, dass ich eine Weile Ruhe brauchte und momentan keine Lust hatte, weiter mit ihm zu reden.
    »Ist das die Krankheit?«, fragte er nach, aber ich gab mir gar nicht erst die Mühe, ihm zu antworten.
    »Montag also?«, vergewisserte ich mich stattdessen, bevor der Schlaf mich übermannte.
    »Montag«, bestätigte Fjodor.

4

    M ir war gar nicht der Gedanke gekommen, dass diese Mütterlichkeit irgendwohin führen könnte, natürlich nicht. Maud war meine Therapeutin, da war es nur natürlich, dass ich sie mit Gefühlen überschüttete. Auch mit Gedanken darüber, wer ich war. Außerdem möchte ich betonen, dass es kaum die Aufgabe des Patienten sein kann, dafür zu sorgen, dass die Grenzen aufrechterhalten bleiben, das ist einzig und allein Aufgabe der Therapeutin. Von ihr wird erwartet, dass sie gesund ist, und sie ist diejenige, die dafür bezahlt wird, ihren Job zu machen.
    In diesem Fall bestand der Job aus einem neunundvierzigjährigen Mann mit gestörtem Realitätsempfinden und Anzeichen einer Persönlichkeitsstörung. Das war die vorläufige Diagnose, die ich aus dem Krankenhaus mitbrachte. Dort hatte ich zwei Monate verbracht, nachdem ich vom Ehemann einer Frau, mit der ich jahrelang ein heimliches Verhältnis gehabt hatte, schwer zusammengeschlagen worden war. Ein heftiges und relativ zeitintensives Verhältnis, darüber stand nichts in den Krankenakten, aber ich erzählte es dennoch bei unserer ersten Begegnung. Wobei ich den Eindruck gewann, dass sie bereits informiert war.
    Das war also im August 1989. Dragutin, Michelles bärenstarker und heißblütiger Ehemann, hatte seine achtzehnmonatige Haftstrafe ungefähr zum selben Zeitpunkt angetreten. Michelle war zu ihrer Schwester nach Perth in Australien gezogen. Weiter weg ging’s nicht.
    »Was meinen Sie, wo sollen wir anfangen?«
    Das war ihre erste Frage, und es dauerte eine Weile, bis ich eine Antwort fand.
    »Jedenfalls nicht beim Anfang.«
    Worüber sie lachte. Kurz, aber zustimmend.
    »Dann machen wir es umgekehrt. Vielleicht können Sie mir erzählen, was für Sie momentan am problematischsten ist?«
    Wieder musste ich eine Weile überlegen. Dachte, dass ich auf keinen Fall etwas sagen wollte, nur um die Konversation am Laufen zu halten. Das war eine Strategie, der ich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren oft verfallen war und die mich nicht einen Zentimeter im Leben weitergebracht hatte.
    »Ich bin ein amoralischer Dreckskerl.«
    Sie faltete die Hände und betrachtete mich mit ernster Miene.
    »Wenn das stimmt, dann stimme ich Ihnen zu, dass das ein großes Problem ist. Was hat Sie zu dieser Überzeugung kommen lassen?«
    Wieder dachte ich nach.
    »Nichts Spezielles. Ich habe den ganzen Sommer im Krankenhaus verbracht. Ich hätte ebenso gut sterben können, da denkt man über so einiges nach.«
    »Können Sie mir erzählen, was passiert ist?«
    »Das steht ja wohl in den Unterlagen?«
    »Ich würde es aber gern von Ihnen hören.«
    Ich zuckte mit den Schultern und fragte, ob ich rauchen dürfe. Das durfte ich nicht.
    »Na gut. Er ist uns auf die Schliche gekommen. Nicht … wie heißt das? In fla…?«
    »In flagranti?«
    »Genau. So nicht, aber eines Abends stand er vor meiner Tür und klingelte. Soll ich weitererzählen?«
    »Ja, bitte.«
    »Ich machte die Tür auf, weil

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