Himmel über Tasmanien
sie gewesen, seine Beisetzung eine Qual.Sie war in das stille, dunkle Haus zurückgekehrt und hatte sich zwischen den Kisten und Abdecktüchern niedergelassen, um über ihre Zukunft nachzudenken. Sie plante, in das Haus ihrer Familie in Sussex zurückzukehren, doch die Fehde zwischen ihr und Eunice war nicht beigelegt, und sie war hin- und hergerissen zwischen ihrer Sehnsucht, Australien zu verlassen, und ihrem Wunsch, Eunice möge ihr verzeihen. Nachdem Algernon tot war, hatte sie wichtige Entscheidungen zu treffen.
Die Antwort auf die Frage, was als Nächstes zu tun sei, war im Spätsommer jenes Jahres aus Brisbane gekommen. Lionel war kurz nach Algernons Beisetzung ums Leben gekommen. Er hatte seinen Pferdewagen in alkoholisiertem Zustand bei einem Rennen gefahren, und der Wagen hatte sich überschlagen. Erneut hatte Clarice an Eunice geschrieben. Sie konnte jetzt nicht fortgehen, Eunice würde ihre Hilfe brauchen, damit sie alle nach England zurückkehren konnten.
Doch sie erhielt keine Antwort, und als im Lauf des darauffolgenden Jahres Gerüchte über Gwens zunehmende Verwahrlosung zu ihr durchdrangen, begann sie sich noch mehr Sorgen um das Wohl ihrer Schwester zu machen. Es hieß, die neunzehnjährige Gwen gleiche zu sehr ihrem Vater, sie habe dieselben Gelüste wie er und sei in ihrem Kummer über Lionels Tod offenbar fest entschlossen, sich und ihre Mutter zu zerstören.
Clarice erhob sich langsam vom Stuhl und nahm das Foto im Silberrahmen vom Klavier. Das sepiafarbene Bild war körnig und mit der Zeit verblasst, doch als sie das lächelnde Gesicht ihrer Schwester betrachtete, kamen ihr die Tränen.
Sie hatte weitere zwei Jahre in Sydney ausgeharrt in der Hoffnung, ihre Schwester würde ihr endlich schreiben, und war zu dem traurigen Schluss gekommen, dass Eunice ihr nie vergeben würde. Alles war für den Verkauf des Hauses und die Rückkehr nach England vorbereitet, und sie packte ihreletzten Sachen, als der Brief eintraf, auf den sie so lange gewartet hatte.
Eunice’ Schreiben war kurz und gestelzt gewesen – eher eine Aufforderung als der Versuch, sich zu versöhnen. Doch Clarice hatte Gott für die Chance gedankt, Wiedergutmachung leisten zu können. Rasch hatte sie ihre Pläne geändert und eine Überfahrt nach Tasmanien gebucht.
Clarice stellte das Foto wieder auf das Klavier und seufzte. Damals hatte sie keine Ahnung gehabt, welche Probleme und welches Leid sie in den folgenden Jahren erfahren würde, denn das Schicksal hielt seinen letzten, vernichtenden Schlag erst noch bereit.
9
D olly warf den Eimer zu Boden und stampfte mit dem Fuß auf. »Ich weigere mich, noch mehr Wasser hereinzutragen. Sieh dir meine Hände an, Lulu – und ich habe mir einen Fingernagel abgebrochen«, jammerte sie.
»Wenn du ein Bad nehmen möchtest, dann musst du weiter Wasser schleppen«, erwiderte Lulu außer Atem, nachdem sie zum wiederholten Mal vom Boiler draußen in die Hütte gelaufen war.
»So werde ich nicht wohnen«, ereiferte sich Dolly.
»Es wird höchstens zwei Tage dauern«, schmeichelte Lulu. »Komm schon, Dolly, versuche, es auf die leichte Schulter zu nehmen.«
Die grünen Augen wurden schmal. » Du magst ja an solche Entbehrungen gewöhnt sein, aber ich nicht .«
Lulus Stimme war gefährlich ruhig. »Was willst du damit sagen?«
»Du bist hier geboren und hältst es zweifelsohne für normal, so zu leben. Wohingegen ich Besseres gewohnt bin, und …«
»Du hast keinen Grund, so gemein zu sein«, entgegnete Lulu. »Wir stecken beide drin, und ich finde es ebenso schwer, also hör auf, dich wie eine verzogene Göre aufzuführen, und sieh es positiv. Sie hätten uns auch in ein Zelt stecken können.« Sie schnappte sich ihren Skizzenblock und einen Pullover. »Ich gehe spazieren. Wenn ich zurückkomme, wirst du hoffentlich besser gelaunt sein.«
Dolly schaute sie finster an, wandte sich ab und stieß sich den Zeh an dem eisernen Bettgestell, das Joe für sie herbeigeschafft hatte. Vor Wut aufheulend packte sie das Nächstliegende, was zufällig der Eimer war, und schleuderte ihn so fest sie konnte gegen die Wand.
Lulu machte die Tür zu und überließ Dolly sich selbst. Die Strapazen der langen Reise und die Ereignisse, die ihre Rückkehr überschattet hatten, belasteten inzwischen ihrer beider Nervenkostüm. Es war klar, dass sie nicht lange unter solchen Bedingungen leben konnten, wenn ihre Freundschaft weiterhin Bestand haben sollte.
Sie ging die Außentreppe hinunter und stellte sich
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