Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
tun Sie bestimmt.«
»Ich will es nicht verlieren.«
»Nein.«
»Ich
werde
es nicht verlieren.«
»Ich kann Sie verstehen.«
»Die Firma hat uns auf dem Trockenen sitzen lassen«, sagte sie. »Ich kenne mich nicht so genau aus, aber im Grunde genommen wurde er rausgeschmissen. Am Schluss behaupteten sie, er schuldete ihnen Geld, und als ich versuchte, dahinterzusteigen, hat er immer nur gesagt, das ginge mich nichts an. Wenn Sie mich fragen, hat er irgendeine Dummheit begangen. Aber ich durfte nicht nachfragen, also hielt ich den Mund. Sie waren verheiratet. Sie sind verheiratet. Sie wissen, wie es ist. Und als ich mittendrin war, das rauszukriegen, sollen wir diese Reise antreten, zusammen mit diesen Leuten, und kommen da nicht raus. Und auf der Reise wird er krank, fängt sich einen Virus ein, von dem noch keiner gehört hat, und fallt ins Koma. Damit ist
er
aus dem Schneider.«
Grant sagte: »Wirklich schlimm.«
»Ich will damit nicht sagen, dass er absichtlich krank geworden ist. Es ist einfach passiert. Er ist mir nicht mehr böse, und ich bin ihm nicht mehr böse. So ist eben das Leben.«
»Das ist wahr.«
»Das Leben ist unschlagbar.«
Ihre Zunge huschte mit katzenhafter Beiläufigkeit über ihre Oberlippe und holte sich die Kekskrümel. »Ich höre mich an wie ein weiser Philosoph, was? Die da draußen haben mir gesagt, Sie waren Universitätsprofessor.«
»Das ist schon eine ganze Weile her«, sagte Grant.
»Ich bin ja nicht groß intellektuell«, sagte sie.
»Ich weiß auch nicht, wie weit ich das bin.«
»Aber ich weiß, wenn mein Entschluss feststeht. Und der steht fest. Ich werde mich nicht von dem Haus trennen. Was bedeutet, dass ich ihn hierbehalte, und ich will nicht, dass er auf die Idee kommt, irgendwo anders hinzuwollen. Wahrscheinlich war es ein Fehler, ihn dahin zu bringen, damit ich mal weg konnte, aber es war eine einmalige Chance, also habe ich sie ergriffen. Ja, jetzt bin ich klüger.«
Sie schüttelte noch eine Zigarette aus der Schachtel.
»Ich wette, ich weiß, was Sie denken«, sagte sie. »Sie denken, der Person geht’s nur ums Geld.«
»Ich fälle keine Urteile dieser Art. Es ist Ihr Leben.«
»Darauf können Sie Gift nehmen.«
Er dachte, sie sollten in neutralerem Ton enden. Also fragte er sie, ob ihr Mann als Schuljunge im Sommer immer in einem Eisenwarenladen gearbeitet hatte.
»Davon hab ich noch nie was gehört«, sagte sie. »Ich bin nicht von hier.«
* * *
Bei der Heimfahrt fiel ihm auf, dass die sumpfige Senke, die mit Schnee und den strengen Schatten der Baumstämme gefüllt gewesen war, von Stinklilien erhellt wurde. Die frischen, essbar aussehenden Blätter waren tellergroß. Die Blüten reckten sich auf wie Kerzenflammen und waren so zahlreich, von so reinem Gelb, dass sie an diesem wolkenverhangenen Tag von der Erde Licht ausstrahlten. Fiona hatte ihm erzählt, dass sie auch eigene Wärme produzierten. In einem verborgenen Winkel ihres Wissens stöbernd sagte sie, dass man angeblich die Hand in das eingerollte Blütenblatt legen und die Wärme spüren konnte. Sie hatte es versucht, erzählte sie, war sich aber nicht sicher gewesen, ob sie tatsächlich Wärme gespürt oder es sich nur eingebildet hatte. Die Wärme lockte Insekten an.
»Die Natur spielt nicht herum, nur um hübsch zu sein.«
Er war bei Aubreys Frau Marian gescheitert. Er hatte damit gerechnet, scheitern zu können, aber er hatte nicht im Mindesten mit diesem Grund gerechnet. Er hatte gedacht, er bekäme es lediglich mit der natürlichen sexuellen Eifersucht einer Frau zu tun – oder mit ihrem Trotz, den hartnäckigen Überresten sexueller Eifersucht.
Er war nicht auf den Gedanken gekommen, dass sie die Dinge derart sehen könnte. Und doch war ihm das Gespräch auf eine deprimierende Art vertraut gewesen. Denn es erinnerte ihn an Gespräche, die er mit Mitgliedern seiner eigenen Familie geführt hatte. Seine Verwandten, seine Onkel, wahrscheinlich sogar seine Mutter hatten so gedacht, wie Marian dachte. Sie hatten geglaubt, wenn andere Leute nicht so dachten, dann, weil sie sich etwas vormachten – sie waren zu weltfremd oder zu blöde, aufgrund ihres leichten und behüteten Lebens oder ihrer Bildung. Sie hatten den Anschluss an die Wirklichkeit verloren. Gebildete, Literaten, einige Reiche wie Grants sozialistische Schwiegereltern hatten den Anschluss an die Wirklichkeit verloren. Infolge eines unverdienten Glücksfalls oder einer angeborenen Beschränktheit. In seinem Fall,
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