Himmel voll Blut - DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
schlechtes Omen sei, wenn man nach dem Abendhimmel benannt sei. Wie sich gezeigt hatte, hatte sie recht.
Ich aß mit der Familie, saß an dem langen Tisch mit Vettern und Tanten und Onkeln überall um mich herum. Ich fragte mich, ob meine Anwesenheit für sie wohl schmerzlich sei. Es mußte sie zwangsläufig an das erinnern, was Tom zugestoßen war. Die Flammen loderten in der Feuerstelle, als wir dort zusammensaßen.
Nach dem Essen verabschiedete ich mich von Vinnie und seiner Familie. Vinnie folgte mir nach draußen in die kalte Abendluft, stand da und atmete sie mit mir ein. »Ich weiß es zu schätzen, daß du gekommen bist.«
»Das Mindeste, was ich tun konnte, Vinnie.«
»Du mußt nicht die ganze Zeit hier verbringen, aber ich bin sicher, meine Mutter würde sich freuen, wenn du noch einmal vorbeischautest.«
»Das werde ich«, sagte ich. »Wir haben sowieso noch einige andere Dinge zu besprechen.«
Er sah mich an. »Ich kann momentan kaum richtig denken, Alex. Gib mir etwas Zeit, okay?«
»Okay.« Dann wünschte ich ihm eine gute Nacht und ging nach Hause ins Bett.
Als ich am nächsten Morgen bei Jackie vorbeischaute, fragte er mich, wo ich am Abend zuvor gewesen sei. Ich erzählte ihm von der Beerdigung und daß sie Tage dauern würde. Er bat mich zu warten, während er nach oben ging, um sich in einen Anzug zu werfen. Er hängte ein Schild an die Vordertür mit der Aufschrift ›Bin auf einer Beerdigung‹, dann kam er mit zu Vinnies gesamter Familie.
Einige Leute standen nach dem Essen auf und erzählten Geschichten von Tom, über all die komischen Sachen, die er getan hatte, über die vielen Male, da er sich ein Bein ausgerissen hatte, um jemandem zu helfen. Gegen Ende stand auch Vinnie auf und versuchte etwas zu sagen. Er begann eine Geschichte über seinen ersten Angelausflug mit Tom zu erzählen, als sie kleine Kinder waren. Vinnie hatte es nicht über sich gebracht, den Haken durch den Wurm zu stechen, und Tom hatte ihm gesagt, er solle auf der Stelle aufhören, sich wie ein chimook aufzuführen, was im Slang der Ojibwas Weißer Mann bedeutet. Das brachte ihm Lacher ein, aber Vinnie konnte die Geschichte nicht weitererzählen. Er setzte sich neben seine Mutter, und die streichelte ihm den Rücken.
Als Jackie und ich im Begriff standen zu gehen, kam Vinnie zu uns und dankte uns für unser Kommen.
»Du siehst nicht gut aus«, sagte ich. Ich hatte auf eine Gelegenheit gewartet, mit ihm über die Männer aus Detroit zu sprechen, aber jetzt sah ich, daß ich noch warten mußte.
»Ich kann nicht schlafen«, sagte er. »Jedesmal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich dieselbe Szene.« Er brauchte mir nicht zu sagen, was das war.
So verging der zweite Tag der Beerdigung.
Am dritten Tag schaute ich zur Abendessenszeit wieder vorbei. Ich hörte einige Geschichten mehr über Tom. Vinnie versuchte diesmal nicht zu sprechen. Ich ging inzwischen wieder fast normal und hatte das Gefühl, das meiste von meiner Energie sei zurückgekehrt.
Vinnie sah noch schlechter aus als am Tag zuvor. Ich versuchte gar nicht erst mit ihm zu sprechen. Ich ging nach Hause und fragte mich, was ich für ihn tun könnte.
Maskwa hatte recht. Sein Geist war krank. Selbst ich konnte das jetzt erkennen.
Das war der dritte Tag.
Am vierten brach Vinnie zusammen. Ich hob ihn vom Boden auf; einige seiner Vettern halfen mir dabei. Wir setzten ihn nieder, fächelten ihm Luft zu und versuchten ihm Wasser einzuflößen. Wie ein Preisboxer versuchte er uns abzuschütteln und wieder auf die Füße zu kommen.
»Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte er. »Kommt schon, Jungs. Ich hatte einen Blackout von einer Sekunde. Alles in Ordnung.«
Er wollte nicht nach Hause gehen. Ich bot ihm an, ihn dorthin zu bringen und bei ihm zu bleiben. Aber er lehnte ab. Da fuhr ich alleine nach Hause.
Am fünften Tag kamen endlich Toms Überreste aus Kanada an. Der letzte Tag des Begräbnisses bewegte sich vom Kulturcenter rüber zur Blessed Kateri Tekakwitha, einer katholischen Kirche mitten im Reservat, zwischen den beiden Kasinos. Sie hielten dort eine katholische Totenmesse und fuhren dann Toms Sarg zur Spitze vom Mission Hill. Es war ein kalter Tag, so grau, wie nur ein Oktobertag in Michigan sein kann. Sie begruben Tom auf dem Friedhof des Reservats, nach Westen zu.
Als sie fertig waren, ging Vinnie allein los und sah von der Klippe hinunter. Ich ging ebenfalls, gesellte mich zu ihm und sah auf die Landschaft zu unseren Füßen – den
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