Himmelsgöttin
übergroße Shorts, Football-Hemd, Baseballmütze verkehrt herum über einem blauen Kopftuch –, kam herüber und packte Tuckers Rucksack. Tucker hielt einen der Schultergurte fest und kämpfte mit dem Jungen um die Kontrolle über den Rucksack.
»Du gehen mit ihm«, sagte der Pirat. »Er dich bringen zu Paradise.«
»Komm, Holmes«, sagte der Junge. »Mein Auto Klimaanlage.«
Tucker ließ den Rucksack los, und der Junge huschte damit durch das Verkehrsgewühl auf einen alten Honda Civic zu, dessen Rückfenster aus Plastikfolie bestand, während die Beifahrertür mit einem Draht zugehalten wurde. Tuck folgte ihm zwischen den langsam dahinkriechenden Autos hindurch, die jedesmal dann, wenn er vor eines trat, vorwärts ruckten, als wollten sie ihn plattmachen. Er versuchte die Gesichter der Fahrer zu erkennen, aber die Windschutzscheiben waren alle mit schwarzer Plastikfolie zugeklebt.
Der Junge warf Tucks Rucksack in den Kofferraum, löste dann den Draht von der Beifahrertür und hielt sie auf. Tucker stieg ein und wurde erneut von dem Gefühl beschlichen, daß er sich vollständig der Gnade von Dame Fortuna auslieferte. Als nächstes krieg ich die Stelle zu sehen, wo sie die weißen Kerls ausrauben und umbringen, dachte er.
Während der Fahrt schaute Tuck hinaus auf die Lagune. Selbst durch das getönte Fenster erstrahlte sie in einem tiefen Blau, als wäre sie von unten beleuchtet. Frauen mit Tauchermasken standen bis zu den Schultern im Wasser; ihre mit Blumenmustern bedruckten Kleider wogten um sie herum und ließen sie wirken wie bunte Quallen. Sie trugen alle einen kurzen Speer aus Stahl, den sie mit einer Gummischleuder abschossen. Große Plastikkörbe trieben auf der Oberfläche, in denen die Frauen ihren Fang abluden.
»Was jagen die da?« fragte Tuck den Fahrer.
»Oktopus, Seeigel, kleine Fische. Meistens Oktopus. Hey, von wo aus den Staaten kommst du her?«
»Ich bin in Kalifornien aufgewachsen.«
Der Junge strahlte. »Kalifornien! Da gibt's die Crips, stimmt's?«
»Ja, es gibt dort Gangs.«
»Ich bin Crip«, sagte der Junge und deutete voller Stolz auf sein blaues Kopftuch. »Ich und meine Homies, wenn wir finden Bloods hier, wir knallen ab.«
Tucker war ziemlich erstaunt. Am Straßenrand stand ein wunderhübsches kleines Mädchen und trank aus einer grünen Kokosnuß, während hier im Wagen ein Bandenkrieg im Gange war. Er sagte: »Wo sind die Bloods?«
Rindi schüttelte voller Bedauern den Kopf. »Keiner sein wollen Blood. Nur Crips auf Truk. Aber wenn wir einen sehn, dann wir machen platt.« Er lüftete ein Handtuch, das auf dem Sitz lag, und darunter kam eine verschrammte Daisy-Luftpistole zum Vorschein.
Tuck notierte sich im Geiste, daß er auf keinen Fall mit einem roten Kopftuch rumlaufen durfte, um nicht unbeabsichtigt den Bloodsmangel zu beheben. Er hatte kein Verlangen danach, in einem künstlich glorifizierten Cowboy-und-Indianer-Spiel getötet oder verletzt zu werden.
»Wie weit ist es bis zum Hotel?«
»Das ist es«, sagte Rindi und riß den Honda herum, um auf einem staubigen Parkplatz auf der anderen Straßenseite zu parken.
Das Paradise Inn war ein zweistöckiges Gebäude mit einer Stuckfassade, die sich bereits auflöste und gekrönt wurde von rostigen himmelwärts aufragenden Eisenstreben, die eine dritte Etage verhießen, die nie gebaut werden würde. Tuck ließ den Jungen, Rindi, den Rucksack in sein Zimmer im ersten Stock tragen: mintgrüne Blocksteinwände über braunem Linoleum, ein zerschrammter Schreibtisch aus Metall, Blumenvorhänge mit Rauchflecken, ein Doppelbett mit einer löchrigen Tagesdecke aus den fünfziger Jahren, der Geruch von Mehltau und Insektiziden. Rindi verstaute den Rucksack in dem türlosen Schrank und stellte den kleinen Airconditioner im Fenster auf die höchste Stufe.
»Zu spät für Dusche. Wasser wieder gehen von vier bis sechs.«
Tuck warf einen Blick ins Badezimmer. Kein guter Entschluß. Ein exotisch aussehendes orangefarbenes Ding wuchs aus dem Duschvorhang. Er sagte: »Wo kann ich hier ein Bier kriegen?«
Rindi grinste: »Wir haben Lounge. Budweiser, ›King of beers‹. MTV per Satellit.« Er verdrehte seine Hände und vollführte einen Gangsta Rap Move, der aussah, als hätte er einen plötzlichen Anfall von Schüttellähmung. »Yo, G, wir chillen mit phatteste Jams? Snoop, Ice; Public Enemy.«
»Oh, prima«, sagte Tuck. »Das Drive-by erledigen wir aber erst später. Wie komme ich zur Bar?«
»Treppe runter, raus und dann
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