Himmelsmechanik (German Edition)
Niemals, nicht einmal in den wildesten Mythologien. Manche Dinge, wenn sie überhaupt geschehen sind, sollte man besser nicht schwarz auf weiß festhalten und auf einem Stein für Jahrtausende bloßstellen. Aber hier ist es passiert: Hier ist es, an den Kirchturm geschraubt.
Jedes Mal, wenn ich in Careggine vorbeikomme, sehe ich mir diese beiden, Ihn und Sie, wieder an, und ich versäume es nie, ihnen einen langen Blick zuzuwerfen, entspannte Pausen im Mahl der
ossetti
. Ich denke oft an Ihn und Sie. Welche Musik bringt sie zum Tanzen? Welche Instrumente werden am Rand ihres Tanzes gespielt? Und wer spielt sie? Wo sind sie? In welchem Dorf, in welchem Wald, auf welchem Schlachtfeld? In welchem Jahr welcher Epoche? Vielleicht gibt es keine Spieler und es gibt keine Instrumente. Vielleicht hören sie die Musik in ihrem Innern, vielleicht tanzen sie nach dem Rhythmus ihres Herzens, das wegen einer unerhörten Aufregung in Wallung ist. Wenn es Krieger sind, haben sie gerade getötet. Sie sind da und machen sich Mut, weil sie es gerade tun wollen. Oder sie werden nie wieder töten, und das, was geschieht, ist ein Lobritus auf das Leben, der abgehalten wird, um die Möglichkeit fernzuhalten, es zu verlieren oder es zu nehmen. Wenn es aber Jäger sind, was haben sie dann gerade nach Hause gebracht? Welche Beute kann man mit einem Dolch und einer Lanze töten? Welches wilde Tier kann so nahe herangelockt werden, dass man es mit diesem Zeug töten kann? Wie viel Kraft und wie viel Kunst braucht man, um das tun zu können? Wie viel Mut, wie viel Verrücktheit? Wenn sie von so Nahem jagen, dann haben dieser Mann und diese Frau denselben Geruch wie die Tiere, von denen sie sich ernähren und kleiden, und derer sie sich erwehren müssen. Sie haben den süßlichen und moschusartigen Geruch des Bären. Den strengen und warmen des Hirschs. Beide unerträglich. Und niemand weiß, wer sie sind, und auch ich nicht, doch sie sind da und bleiben da, an die Mauer geschraubt.
Er und Sie. Solange der Stein hält, und es ist sehr harter Stein, Granit aus dem Apennin. Und solange der Granit hält und die Augen derer, die sie anschauen, hält das unbekannte Abkommen zwischen ihnen. Die Allianz. Das Versprechen. Der Eid. Denn sie sind geschaffen, um dort zu sein, gegen jede anthropologische Erwartung und jede Geschichte.
Das ist eine schöne Hochzeit, mein Pfarrer, Erschießer von kleinen Kaninchen. Das ist meine Hochzeit, wenn ich sie denn ordentlich feiern kann.
Aber Don Gigliante ist dabei, am Fresko seiner Kirche herumzufuhrwerken, und ich weiß, er betet für mich, und er betet für uns, dass unsere Unvorsichtigkeit lässliche Kapitulation sein möge.
Himmelsmechanik
Und sie sind zurückgekehrt. Am ersten Sonntag im August, in der Nachmittagshitze, und man wusste schon an der Pieve, dass sie es waren, wegen des unverwechselbaren Auspuffs mit Flammenrückschlag dieses alten Coupés, wegen der Tatsache, dass im ganzen Revier auf den Straßen sonst keine Menschenseele unterwegs war. Ich war in der Küche und las, an die kühle Nordwand gelehnt; ich las und schlief gleichzeitig, wie es nur in manchen Momenten nachmittäglicher Gunst passiert, und die Santarellina rief mich an. Sie hatte sie gerade am Ponte vorbeifahren sehen. Die übernatürliche Vision der Santarellina.
Schon seit vor der Hitze geht sie fast nicht mehr aus dem Haus, sie kam nicht einmal, um sie bei der Abreise zu verabschieden. An einem bestimmten Moment im Frühjahr fühlte sie sich ein wenig alt und bedürftig nach häuslicher Gesellschaft; so ließ sie sich zum Einkaufszentrum an der Autobahn fahren und kaufte sich einen Fernseher, groß wie ein Kino. Und sie fing an, für einen Fußballsender zu bezahlen: Den Sarg und den Grabstein und den Pfarrer hab ich mir ja schon bestellt und bezahlt. Und das wusste man auch, nebenbei gesagt; denn da war im vergangenen Jahr die Sache mit der Werkstatt von Camaiore, wo sich die großen Künstler der Welt ihre Skulpturen ausarbeiten lassen. Die Santarellina ging heimlich dorthin, um sich ihren Grabstein meißeln zu lassen, und der Steinmetzmeister machte ihr einen schönen riesigen Grabstein mit ihrem Namen und dem Geburts- und Todestag in Schreibschrift eingemeißelt. Es gab ein Missverständnis, eine Nervosität des Steinmetzes, und so geht aus dem Grabstein hervor, dass die Santarellina an dem Tag gestorben ist, an dem sie ihr die Quittung für den Vorschuss ausstellten. Ihr war das überhaupt nicht wichtig, außer dass sie
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