Himmelsmechanik (German Edition)
Bergbewohner, die in einer kummervollen Herberge und einem rohen, gottlosen Zimmer gedeihen. Und der beste Part, den sie und ich anstreben könnten, ist der von Angelica, der kleinen Chinesin, und dem Soldaten Medoro: Die rückhaltlosen Ehebrecher, die in die Leichtfertigkeit Verliebten, die den Besten unter ihnen, den Größten unter den Helden verrückt werden ließen. Den Schönsten und Dümmsten. Und darüber waren wir wieder einmal froh. Roland behagt uns nicht so sehr, uns gefallen die Aufschneider und Unsicheren nicht, die Jünglinge, die die Welt ins Verderben stürzen, weil die Welt sich nicht ihren Nichtigkeiten beugt. Sondern Angelica, die etwas Gutes tat: Sie kümmerte sich um den schwer verletzten Medoro und rettete ihn. Und Medoro benahm sich wie ein Mann: Er versteifte sich nicht auf das nutzlose Pariser Duell, sondern brachte seine Frau fort von dort, weit weg von den falschen Versprechungen Roncesvalles’, um sie in Wäldern und an Flussufern zu lieben, um Lust und Nachkommen, Arbeit und Schönheit zu zeugen.
Und so sind wir geneigt, daraus zu schließen, dass das Schicksal von Tränen und Tod unserer alten Prinzessin Apua und ihres Pisanino nicht das Einzige ist, was uns zugeschrieben wurde. Und das ist die einzige Geste der Anerkennung, die der Statthalter uns hinterlassen hat, damit die Menschen sich an ihn erinnern, die ihm eine Wohltat erwiesen, indem sie ihn jahrelang auf dem Buckel duldeten, ohne ihm ein Haar zu krümmen.
Neulich nachts, gegen Ende ihrer Lektüre, während sie sich mit einem Taschentuch über den unaufhaltsamen Milchstrom fuhr und dabei den Mond betrachtete, der noch rund und glatt wie ein Käse war, wie er hinter der Spitze des Pisanino unterging, forderte Nita mich auf zu überlegen, ob es nicht angebracht wäre, für eine Weile mit Büchern aufzuhören. Der Schatten der Finsternis verlängerte sich nach unten, in die Windungen des Flusses, und verlöschte langsam genau am Ausklingen der Nacht. Und ich stimmte ihr zu. Diese demonstrative und intime, so erfrischende Lektüre konnte der angemessene Abschied von einer Aktivität sein, die uns viel Befriedigung verschaffte, aber gerade jetzt fehl am Platz wäre. Dies ist die Zeit, selbst zu erzählen und unsere eigenen Lieblingsautoren zu werden, wenigstens für die Zeit unserer Erzählung. Wenn uns je eine Gelegenheit gegeben wurde, eine Geschichte zu sein, die es wert ist, interpretiert zu werden, dann ist dies der Moment. Jetzt. Jetzt, da wir vom Glück gesegnet sind, am Leben zu sein, und jeder Mensch und jedes Ding um uns herum, jede Spur und jeder Abdruck erscheinen uns lebendig an ewigwährendem Leben. Jetzt, da wir so viel von dem gelernt haben, was es von diesem Leben zu sehen und zu hören und zu berühren gibt, was könnten wir da anderes sein als der beste im Umlauf befindliche Roman? Oder einer der besten; denn jedes Mal, wenn ich mich umsehe, jedes Mal, wenn ich ein Haus dieses Reviers betrete oder mich auch nur an eine Wand lehne, jedes Mal, wenn ich stehen bleibe, um zuzuhören, ich meine nicht einem Gespräch, sondern nur dem Geräusch, das meine Leute beim Leben machen, dann sehe, dann berühre und dann höre ich nur Romane und Gedichte. Gegenwärtige und vergangene, alle gleichermaßen in plastischem Ablauf, und keiner ist dabei, der von denen geschmälert werden kann, die von den anderen für uns geschrieben wurden. Keiner, so scheint mir, der dessen unwürdig ist, was uns unsere Väter hinterlassen haben. Und hier bei uns ist es vor allem schöner als in Roncesvalles.
Es war eine weise Entscheidung, dass wir anfingen, die Lektüre etwas aufzugeben; eine weise Geste der Reife, meiner verspäteten, letzten Reife, der frühen, vielversprechenden Reife Nitas. Das erspart uns in einem so heiklen Moment, Hand an das Vermächtnis des Omo Nudo zu legen; das Buch der verborgenen Wahrheit, die wertvolle Wissensgabe, die der große Schriftsteller Oscar Wilde seinem Großvater Amanteo anvertraute, dem Kaffeehauskellner, der in Chelsea die intime Einsamkeit dieses großes Menschen pflegte und dabei das nichtige Absinken des hässlichen Empires von Albion in Agonie im Auge behielt. Wie versprochen übergab Bresci noch am Tag der Rückkehr das Schicksal der Menschheit feierlich in Nitas Hände. Er hatte dieses Buch im Reisekoffer, als sei das Einhalten des Versprechens eine ebensolche Dringlichkeit wie das Wechseln der Unterhosen. Das Buch liegt jetzt im großen Zimmer auf dem Kastanienholztisch, der den Sommer über
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