Himmelssöhne - Das Erbe der Asaru (German Edition)
Radiowecker. Erst jetzt realisierte sie, was passiert war. Jack, das war der erste Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss. „Ich hab’ verschlafen! Verdammt noch mal, das darf doch nicht wahr sein!“, zog sie mit sich selbst ins Gericht, drehte sich aus dem Bett, schlüpfte in ihre Hausschuhe und wankte schlaftrunken die Treppe hinunter. Die mit dunkelroten Teppichen ausgelegten Stufen bezeugten mit hölzernem Knarren die Geschichte ihres betagten Daseins. Gähnend tapste sie durchs Wohnzimmer, öffnete die Haustür und steckte ihren Kopf ins Freie. Der Garten vor dem Haus lag noch in Eiseskälte, welche die Bäume mit einem dicken Bart aus Raureif überzogen hatte. Grace hielt sich eine Hand vor die Augen, um sie vor den grellen Strahlen der Morgensonne zu schützen.
„Hey, guten Morgen. Tut mir leid, komm herein!“, sagte sie mit belegter Stimme.
Jack trat ein und drückte die Tür mit seinem Hinterteil zu. „Guten Morgen.“ Jetzt erst konnte er Grace richtig erkennen. „Oh Gott, wie siehst du denn aus?“
„Danke für das Kompliment, das habe ich die letzten Tage mehrmals gehört. Ich bin erkältet und habe gestern Abend ein Mittel eingenommen, das gegen alle meine Beschwerden helfen soll. Aber das Zeug beamt dich weg wie zwei Flaschen Rotwein. Ich hab’ geschlafen wie ein Stein und auch noch vergessen, den Wecker anzumachen.“
„Kannst du überhaupt los in deinem Zustand?“
„Klar, gib mir eine halbe Stunde, okay? Ich springe schnell unter die Dusche, das wirkt Wunder. Du könntest inzwischen Kaffee machen, kennst dich ja aus in meiner Küche.“
„Mach’ ich“, antwortete Jack und zog seine Jacke aus.
Grace nahm sie an sich, hängte sie an den Kleiderhaken und schlurfte gemächlich aus dem Wohnzimmer.
„Unter springen verstehe ich aber etwas anderes“, warf er ihr voller Ironie hinterher.
Grace winkte ab, ohne sich dabei umzudrehen. „Schon gut, du mich auch!“
Diese wohlverdiente Antwort auf seine Äußerung zauberte ein Lächeln in sein bärtiges Gesicht. So kenn’ ich meinen Boss , dachte er, schaltete die Kaffeemaschine ein und machte es sich inzwischen auf der Couch bequem.
Nachdem Grace ihre Müdigkeit mit einer gehörigen Portion Koffein besiegt hatte, machten sie sich auf den Weg nach Atlantic City. Der Ford Explorer bot reichlich Stauraum für die umfangreiche Ausrüstung des Reporterteams. Auf der knapp vierstündigen Fahrt an die Ostküste schilderte sie ihrem Freund, mit dem sie schon seit vielen Jahren zusammenarbeitete, zuerst das Desaster mit George, dann das seltsame Verhalten der Haustiere und anschließend die Ereignisse in der Sternwarte. Auch Jack war in den letzten Tagen das Geheul in den Abendstunden aufgefallen, er hatte sich jedoch keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Erst jetzt wurde er neugierig und konnte es kaum erwarten, mit den Leuten der Tierschutzorganisationen zu sprechen, die schon seit Beginn des Dramas im Einsatz waren. Kurz nach Mittag kamen sie in Atlantic City an und mussten sich bis zum Ort des Geschehens durchfragen. Nicht weit östlich der Stadtgrenze trafen sie, wie vermutet, auf eine riesige Menschenmenge. Der größte Teil bestand jedoch aus Schaulustigen, die für die Retter ein leidiges Hindernis darstellten.
Dank ihrer Presseausweise konnten sie die Polizeiabsperrung ungehindert passieren. Bestürzt erblickten sie das Ausmaß des Dramas. Hunderte von Narwalen zappelten in einer seichten Bucht. Umsorgt von Helfern, die sie ständig mit Wasser begossen und versuchten, sie aufs offene Meer zu ziehen.
Grace legte ihre Hände an die Wangen und beobachtete mit starrem Blick das erschreckende Szenario. „Oh mein Gott!“, brach es aus ihr heraus. Hektisch öffnete sie die Tür und rannte hinunter zum Strand.
Jack, der mit seinen glatten, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren und seinem tristen Outfit selbst aussah wie ein Ökoaktivist, folgte ihr zunächst ein Stück, machte allerdings nach wenigen Schritten kehrt. Er lief zurück, um seine Kameraausrüstung aus dem Wagen zu holen, dann eilte er vollgepackt mit allerlei technischem Gerät hinterher. Am Ufer traf er wieder mit ihr und einigen Leuten von Greenpeace zusammen.
Grace wollte trotz ihrer Erkältung sofort ins Wasser stapfen, um ihre Hilfe anzubieten. Doch Jack konnte sie zur Vernunft bringen und davon überzeugen, dass mehr als genügend professionell ausgerüstete Helfer vor Ort waren.
Schmerzlich kam sie zur Einsicht, dass sie trotz ihrer emotionalen Verbundenheit mit
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