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Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Titel: Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Umgang mit Wachs zu unterrichten und in der übrigen Zeit intimen Umgang mit den Bourbonen zu pflegen.
    Man kann das glauben, wenn man will, aber man muss nicht. Das Parkett von Versailles war ein Ort strengster Benimmregeln, auf dem der geringste Verstoß mit sofortiger Ächtung bestraft wurde. Wer damit nicht vertraut war, musste allein schon das Gehen neu lernen: immer schön gleiten, niemals die Füße heben. Weitaus komplexer und schwieriger zu beachten aber waren die Vorschriften betreffend Begrüßungszeremonien, Konversation, Nahrungsmittelaufnahme sowie Kleidung, Frisur und Schminke. Dass sich in dieser Welt ein ungebildetes Berner Dienstmädchen, das zwar gut zeichnen, modellieren und rechnen, aber nur fehlerhaft lesen und schreiben konnte, auch nur eine Stunde ohne Skandal hätte halten können, erscheint kaum vorstellbar. Und selbst wenn die Prinzessin sich Marie zu ihrer privaten Unterhaltung als bäurisches Maskottchen gehalten hätte, so hätte ihr Name auf der Salärliste der fünfundzwanzigtausend Lakaien, die in Versailles in Lohn und Brot standen, aufgeführt sein müssen. Der«Almanach de Versailles»aber, der auf zweihundert Seiten sämtliche Boten und Speichellecker bis hin zum königlichen Hinternwischer mit Namen, Vornamen und Funktion auflistet, erwähnt zwischen 1780 und 1788 Marie Grosholtz kein einziges Mal.
    Das will nicht heißen, dass sie Versailles nicht von innen gekannt hat. Gut möglich, dass sie Prinzessin Elisabeth ein paar Tage in der Wachsgießerei unterrichtete und dass die beiden beispielsweise Duplikate von Reliquien herstellten; denn die Prinzessin hing dem Glauben an, dass die Gebeine von Heiligen auch dann Wunder wirken, wenn sie nur als wächserne Kopien vorliegen. Undenkbar ist aber, dass die Bourbonin mit dem Berner Dienstmädchen Hand in Hand über Blumenwiesen spazierte, wie Marie in ihren Memoiren behauptet, und die beiden ganze Wochen in Elisabeths privatem Lustschlösschen in Montreuil verbrachten, um einander die intimsten Geheimnisse anzuvertrauen. Das ist nicht möglich, das hätte am Hof niemand zugelassen. Die Lakaien nicht, und der König schon gar nicht.
    Sehr wahrscheinlich ist aber, dass Marie Grosholtz und Philipp Curtius alle paar Wochen die zweistündige Kutschenfahrt hinaus nach Versailles unternahmen, um Anschauungsmaterial für ihre Wachsfiguren zu gewinnen. Denn das Schloss war nicht nur dem Hochadel zugänglich, sondern auch dem gemeinen Volk, das an gewissen Tagen bis in die Speisesäle vorgelassen wurde. In hellen Scharen rannten Kleinbürger, Kutscher und Wäscherinnen über die Treppen, um dabei zu sein beim«Grand Couvert», dem zeremoniellen Diner der königlichen Familie, und sich alles ganz genau anzuschauen: das Besteck aus massivem Gold, das chinesische Porzellan, die hundert Schweizer Gardisten mit ihren roten Hosen und weißen Hutfedern, die im Karree den Tisch umstanden. In ihren Memoiren beschreibt Marie das alles sehr eindringlich und detailgetreu – aber eines wird bei ihren Beschreibungen doch klar: dass ihre Perspektive nicht die eines Familienmitglieds bei Tisch war, sondern die einer Schaulustigen, die zwischen den Hellebarden der Schweizer Gardisten hindurchlugte.
    Ende 1788 machten Marie Grosholtz und Philipp Curtius nach dreizehn sehr erfolgreichen Geschäftsjahren eine neue Erfahrung: Sie mussten erstmals die Eintrittspreise senken, damit weiterhin Besucher in die Ausstellung kamen. Die Leute hatten kein Geld mehr. Der Sommer 1788 war heiß und außergewöhnlich trocken gewesen, und kurz vor der Ernte hatte ein ungeheurer Hagelschlag das wenige, das noch auf den Feldern stand, vernichtet, weshalb im Herbst die Preise für Getreide und Brot in nie gekannte Höhen schossen. Die Menschen gerieten in Not, Hunger machte sich breit, und nur noch wenige konnten es sich leisten, Geld in der Rue Saint-Honoré zu verjubeln. Dann folgte ein bitterkalter Winter. Monatelang lag das Land unter Schnee und Eis, das Brennholz wurde knapp. In Versailles war die Kälte einfach nur lästig, weil der Hammelbraten auf dem Weg aus der Küche zur königlichen Tafel lau wurde. In Paris aber verhungerten und erfroren die Menschen. Getreidetransporte mussten von militärischen Konvois begleitet werden, Bäckereien erhielten Polizeischutz. Um die schlimmste Not zu lindern, wollte Finanzminister Necker die Brotsteuer abschaffen. Aber der König, der alles verfügbare Geld für Versailles brauchte, legte sein Veto ein. Das Volk murrte, Rebellion lag in

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