Himmelssturz
noch keiner von euch gesehen hat. Ist das nicht großartig?«
Die meisten Kinder nickten anerkennend. Danny Mair begann zu weinen.
»Diesen Film habe ich als kleines Mädchen gesehen«, fuhr Svetlana fort. »Schon damals war es ein alter Film. Meine Mutter konnte sich erinnern, ihn gesehen zu haben, als sie kaum älter war, als ihr jetzt seid. Aber ich weiß, dass er euch gefallen wird. Es geht um einen kleinen orangefarbenen Fisch, der eine Flosse hat, die größer als die andere ist. Sein Vater wird von ihm getrennt, und dann widerfahren ihnen die wundersamsten Abenteuer, während sie versuchen, wieder zueinander zu gelangen. Unterwegs treffen sie auf total coole Schildkröten … aber ich will euch den Spaß nicht weiter verderben. Wollen wir uns jetzt den Film ansehen?«
Die Zustimmung war höflich, aber nicht gerade überwältigend. Einige der kleineren Kinder schienen bereits das Interesse verloren zu haben. Vielleicht wäre es besser gewesen, gar nichts zu sagen, dachte Svetlana. Sie startete den Film mit ihrem Flextop, dann setzte sie sich hinter die Kinder, um die Vorstellung zu verfolgen.
Findet Nemo war kein besonderer Erfolg. Bei ein paar Kindern kam er recht gut an, aber Svetlana war sich nun nicht mehr sicher, ob sie vielleicht nur still und gebannt dasaßen, weil es von ihnen erwartet wurde. Die Reaktionen der anderen reichten von Gleichgültigkeit bis zu einer beinahe verzweifelten Bestürzung, als wären sie zu einer Algebrastunde gezwungen worden. Sie schienen den Film einfach nicht zu verstehen. Nur wenige von ihnen hatten Bellas altes Aquarium gesehen, sodass sie nichts mit den Wesen anfangen konnten, die auf der Flextopleinwand herumschwammen. Es waren fremdartige Lebensformen in einer extrem fremdartigen Umgebung, mit der sie keinerlei Erfahrung hatten. Ein paar Kinder amüsierten sich über die bunten Gestalten mit den menschlichen Gesichtern, aber für die anderen war es genauso, als würden sie eine endlose Abfolge abstrakter Farbkleckse betrachten. Sie hatten Schwierigkeiten, der Geschichte zu folgen, und wussten nicht, mit welcher Figur sie sich identifizieren sollten. Die Haie, die eigentlich komisch sein sollten, erschreckten sie zutiefst. Als sich die Handlung vom Wasser aufs Land verlagerte, verloren sie völlig den Faden. Am Ende des Films hatte sich die Hälfte der Kinder bereits abgewendet, um mit den Ballons zu spielen oder weiter an ihren Dämonenbildern zu arbeiten.
Svetlana fühlte sich entmutigt. Zu Beginn der Party war sie bestens gelaunt gewesen, aber nach dem Film war sie davon überzeugt, dass hier eine Generation von Psychopathen heranwuchs – Kinder, denen alle Grundlagen für eine normale emotionale Entwicklung fehlten. Wie konnten sie so undankbar auf einen Film reagieren, von dem sie erwartet hatte, dass er Begeisterungsstürme auslösen würde?
Doch dann sah sie, dass die Kinder schon wieder lachten, als sie sich die Gesichter nachschminkten. Also zwang sie sich, ihre schlechte Laune zu verdrängen. Sie hatte von den Kindern verlangt, sich ohne weiteres für einen Film zu begeistern, der fast sechzig Jahre alt gewesen war, als die Rockhopper Janus begegnet war. Auch in ihrer Kindheit hatte es Dinge gegeben, von denen ihre Eltern erwartet hatten, dass sie sich daran erfreute – Filme, die ihre Eltern als Kinder toll gefunden hatten, die auf Svetlana jedoch nur kurios, farblos und irgendwie melancholisch gewirkt hatten. Bis heute konnte sie sich an ihre stille, nachdenkliche Enttäuschung erinnern. Auch sie mussten sich für einen Moment Sorgen um ihre Tochter gemacht haben. Aber sie hatte sich genauso wenig zu einem Monstrum entwickelt, wie es mit diesen Kindern geschehen würde.
Sie bückte sich, hob einen Ballon auf und kickte ihn durch die Luft zu Emily. Solange es Kinder gab, gab es Hoffnung, ganz gleich, wie langweilig sie einen missgebildeten orangefarbenen Fisch fanden.
Siebzehn
----
Auf der obersten Etage des Habitats, hoch über den weitläufigen Lichtern von Crabtree, saß Svetlana und schwieg bedrückt. Das zwölfte Jahr der Siedlung war fast zu Ende. Das Analyseteam hatte soeben die neuesten Daten über die Dopplerverschiebungen ausgewertet, und die Zahlen entsprachen nicht annähernd dem, worauf sie gehofft hatte.
»Das kann nicht stimmen«, sagte sie und schüttelte den gealterten Flextop wie ein feuchtes Geschirrtuch. »Wir sind höchstens noch acht Wochen von Spica entfernt. Allmählich müsste sich unser Tempo
Weitere Kostenlose Bücher