Himmelssturz
Kindern etwas später präsentieren wollte. Wang war bei den Kindern sehr beliebt. Irgendwie spürten sie, dass er der einzige Erwachsene auf Janus war, der nicht von den Ereignissen an Bord des Schiffes besudelt war, der einzige Erwachsene, den jeder ohne Vorbehalte gern hatte.
Der Anlass der Party war Emilys fünfter Geburtstag im neunten Jahr der Siedlung. Insgesamt war ein Dutzend Kinder versammelt, von denen die meisten jünger als Emily waren. Hannah Ofria-Gomberg, das älteste Kind auf Janus, war jetzt fast acht und hatte die Aufgabe übernommen, mit altklugem Pflichtbewusstsein auf die jüngeren Kinder aufzupassen. Jetzt half sie Reka Bettendorf, eine aufsässige Gruppe von Dreijährigen mit Gesichtsfarbe zu bemalen – ursprünglich die harmlose Markierungsfarbe, mit der sie Schnittlinien im Eis gekennzeichnet hatten. Sie verwandelten die Kinder in Tiger, Affen, Bären und grünhäutige Weltraummonster. Es hielt sie bei Laune, obwohl sich Svetlana fragte, ob sie genauso glücklich gewesen wären, die Farbe in abstrakten Klecksen aufzutragen. Keins dieser Kinder hatte jemals eine echte Katze, geschweige denn einen Tiger gesehen.
»Sie ist ein hübsches Mädchen«, sagte Christine Ofria-Gomberg und nickte in Emilys Richtung. »Dein Haar, dein Kinn; Parrys Augen und Nase. Die Miene, die sie zieht, wenn es nicht nach ihrem Willen geht …«
»Ganz die Mama«, pflichtete Svetlana ihr lächelnd bei. »Ja, das ist mir auch schon aufgefallen.«
»Kaum zu glauben, dass es schon fünf Jahre sind.«
»Du hast gut reden. Schau dir Hannah an. Zwischen den Kindern verhält sie sich fast wie eine Erwachsene.«
»Sie wird elf sein, wenn wir Spica erreichen.« Christine senkte die Stimme, als Hannah in ihre Richtung sah. Offenbar hatte sie bemerkt, dass über sie gesprochen wurde. »Ich erinnere mich noch, wie ich elf war, Svieta. Es ist, als hätten wir zwei Schachteln für all die Erinnerungen, die wir zwischen dem Zeitpunkt unserer Geburt und unseres Todes ansammeln: die Kinderschachtel und die Erwachsenenschachtel. Wenn man erwachsen ist, kann man immer noch die Kinderschachtel öffnen und in den Erinnerungen stöbern, sie herausnehmen und betrachten, aber sie fühlen sich an, als würden sie zu einer fremden Person gehören. Es ist, als würde man alles durch eine dicke Glasscheibe sehen. Aber wenn wir elf sind, kommt alles in die Erwachsenenschachtel. Sie wird immer Erwachsenenerinnerungen an Spica haben.«
»Wollen wir hoffen, dass es gute Erinnerungen sind«, sagte Svetlana und wünschte sich im nächsten Augenblick, sie hätte etwas nicht so Pessimistisches gesagt. Ihre düsteren Vorahnungen gehörten genauso wenig auf eine Geburtstagsparty, wie Fröhlichkeit etwas bei einer Trauerandacht zu suchen hatte.
Sie wusste, dass es müßig war, zu spekulieren, was geschah, wenn sie das seltsame Gebilde im Spica-System erreicht hatten, genauso sinnlos, wie über die Unvermeidlichkeit des Todes zu lamentieren. In den letzten Jahren waren Svetlanas tägliche Sorgen so schwerwiegend gewesen, dass sie sich gar nicht den Luxus erlaubt hatte, sich Gedanken über dieses in ferner Zukunft liegende Ereignis zu machen. Sie brauchten eine Menge Glück, um überhaupt noch am Leben zu sein, wenn es zu einer Begegnung mit Außerirdischen kam.
Aber nun sah es allmählich danach aus, als könnte doch alles gut werden. Zum ersten Mal seit Jahren hatte Svetlana das Gefühl, dass sie den Kampf ums Überleben siegreich bestehen würden und gute Chancen hatten, das Ziel ihrer Reise zu erreichen. Sie hatten Energie aus dem Schlund, und nun hatten sie auch die Möglichkeit, an Rohstoffe zu gelangen. Es hatte einige Zeit gedauert, aber in letzter Zeit waren sie sehr geschickt darin, Material aus den Lavaströmen auf Janus zu stehlen. Kurz nach der ersten Entdeckung der verlorenen Fracht hatten Wangs Analysen ergeben, dass sie viele Elemente und Verbindungen enthielt, die in Crabtree und den anderen Siedlungen entweder sehr knapp waren oder völlig fehlten. Noch besser war, dass das Material mit normalen chemischen und nanotechnischen Prozessen weiterverarbeitet werden konnte, die Wang bereits entwickelt hatte. Die spicanischen Maschinen ließen sich im installierten Zustand zwar nicht zerlegen, aber die Rohstoffe, aus denen sie bestanden, konnten durchaus von Menschen genutzt werden. Das Material ließ sich schneiden, schmelzen, verdampfen, ionisieren und sogar in seine atomaren Bestandteile aufschließen. Das hieß nicht, dass alle
Weitere Kostenlose Bücher