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Himmelssturz

Himmelssturz

Titel: Himmelssturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Bella fragte sich, ob das Ding überhaupt noch funktionierte. Wenn sie nicht für eine höhere Schwerkraft in Crabtree gesorgt hätten, wäre das alles kein Problem gewesen.
    »Schon gut«, sagte Hinks. »Ich habe ihn berührt. Wir alle haben ihn berührt. Es ist einfach nur etwas, das man tun muss.«
    »Habe ich etwas kaputt gemacht?«
    Sie bemerkte sein Zögern, bevor er antwortete. Ja, sie hatte Schaden angerichtet. »Nein. Wir haben gerade erst mit diesem Experiment begonnen. Es wird nicht lange dauern, es neu zu starten.«
    »Ich habe das Gerät beschädigt.«
    »Das lässt sich reparieren. Alles wird wieder funktionieren.«
    Der Würfel drehte sich weiter, und sie sah die raureifartigen Flecken, wo ihre Fingerspitzen eine Mikroschicht aus Fett und toten Hautschuppen auf der perfekten schwarzen Oberfläche des Artefakts hinterlassen hatten. Sie schämte sich. »Es tut mir leid, Martin. Ich habe alles ruiniert. Das ist durch nichts zu rechtfertigen.«
    Hinks führte sie zu einem Stuhl und holte für sich selbst einen von einem Labortisch. »Kann ich dir vielleicht etwas zu trinken bringen, Bella?«
    »Mir geht es gut«, sagte sie, doch im gleichen Moment wurde ihr bewusst, dass es ihr gar nicht gut ging. Erneut spannte sie die Hände und spürte, dass die Fingerspitzen immer noch kribbelten, als würden sie erst jetzt wieder durchblutet werden. Sie betrachtete noch einmal den Würfel. Er drehte sich immer noch, eine Seite ging in die nächste über, aber der Drang, ihn zu berühren, war verschwunden. Ihr Geist war so klar wie der Abendhimmel.
    Viel zu klar, um genau zu sein. Wie eine Schultafel, die soeben sauber gewischt worden war.
    »Martin«, sagte sie ruhig, »du musst etwas für mich tun. Ruf Ryan Axford an oder jemanden, der gerade Dienst hat, und sag, das man mich abholen soll. Ich glaube, der Würfel hat mich mit irgendetwas infiziert. Und sag, dass sie sich beeilen sollen.«
     
    Sie schlief ein, wachte auf und schlief wieder ein. Axford war jedes Mal bei ihr. Er studierte einen ausgedruckten Bericht, tippte auf einer Tastatur Befehle in ein beruhigend antikes Stück medizinischer Hardware oder unterhielt sich flüsternd mit anderen Medizinern. Besucher kamen und gingen von den stillen Stunden des frühen Morgens bis in die Tagesschicht hinein. Bella beobachtete, wie die Uhr in großen Sprüngen weiterzählte und dann wieder für subjektive Stunden stillzustehen schien. Sie wusste, dass der Geist bei Fieber in schnellerem Tempo arbeitete und die Zeitwahrnehmung verzerrte. Etwas Ähnliches geschah nun mit ihr, während sich die Nanomaschinen des Würfels in ihrem Kopf austobten.
    Inzwischen stand fest, dass ihr das Artefakt etwas injiziert hatte. Während der Berührung hatte sich seine Masse um ein halbes Gramm verringert.
    Der Morgen ging träge in den Nachmittag über. Die Schicht wechselte, aber Axford war immer anwesend. Als er einmal vorbeikam und einen besorgten Blick auf irgendein Display warf, sah sie einen müden alten Mann, der auf die Gestalt eines kleinen Jungen zusammengequetscht war.
    Der Nachmittag ging in den Abend über. Pfleger kamen und gaben ihr etwas zu trinken – vielleicht, um ihren Durst zu stillen oder um ihr irgendein Kontrastmittel für irgendeine Untersuchung zu verabreichen. Sie bekam nichts zu essen, aber sie hatte auch keinen Hunger. Gelegentlich hantierten sie mit dem Scannerkranz, den Axford ihr auf den Kopf gesetzt hatte, oder zapften Blut aus ihrem Daumen ab oder führten irgendeinen anderen unergründlichen Test durch, über dessen Sinn und Zweck sie nicht einmal Mutmaßungen anstellen konnte.
    Später, in den frühen Morgenstunden, hatte sie einen weiteren Besucher.
    Sie fühlte sich wacher als sonst. Normalerweise hörte sie das Zischen der Sicherheitstüren in der medizinischen Abteilung, ein kurzes Gespräch zwischen Besucher und Personal, geflüsterte Erkundigungen nach ihrem geistigen Zustand. Doch diesmal war nichts von alledem geschehen.
    Der Besuch stand einfach nur an ihrem Bett.
    Es war eine Frau, ganz in Weiß gekleidet. Bella sah nur ihr Gesicht und die Hände. Der Rest ihres Kopfes war von einer Art flachem Schleier aus demselben perlweißen Stoff wie ihr übriges Gewand bedeckt. Ihre Hände waren wie im Gebet verschränkt. Ihre Haut war dunkel, doch ihre ethnische Herkunft war schwer zu bestimmen. Der Körperbau mochte vom nordischen Typ sein, vielleicht sogar Inuit. Sie war auf strenge Weise schön, doch ihr Gesicht strahlte Güte und Weisheit aus,

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